Ich freute mich auf das Neue, das Unbekannte und auch die Herausforderung. Das Auto samt Anhänger einigermaßen gepackt mit meinen damals wenigen Habseligkeiten – dennoch gefüllt mit vielen Ideen und Träumen. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir die Stadtgrenze erreichten. Hier also werde ich leben. Die graue Diva – und sie war wirklich grau. Ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft. Es war erst Anfang Oktober. Aber gefühlt hatte schon jeder, der es konnte, seine Heizöfen an. Alles, was wärmen konnte wurde scheinbar verbrannt. Und dies roch man. Viele Häuser waren zerfallen – oder schienen zumindest so. Ab und zu tauchten dann Häuser auf, die einigermaßen saniert waren. Und ich fragte mich, welche Häuser hier fehl am Platz wären – die Sanierten oder die Zerfallenen. Schräg gegenüber meiner neuen Wohnung gab es eine Telefonzelle. Es gab Tage, da standen die Menschen Schlange davor. Kaum vorstellbar.

Wir luden meine Sachen aus, gingen etwas essen, redeten über Gott und die Welt. Und dann fuhr das Auto zurück. Und ich blieb hier – in der Stadt, die am 03.10.1992 mein neues Zuhause wurde. Eine Stadt, in der ich keinen kannte. Unbekanntes Terrain. In dem Menschen wohnten, die definitiv in einer anderen Kultur aufgewachsen waren. Eine Stadt, von der ich nicht so viel Gutes gehört habe. Aber allen Bedenken zum Trotz – ich war definitiv dort, wo ich sein sollte und auch wollte. Ich folgte einem klaren Ruf. Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass aus einigen Jahren vielleicht sogar der Rest meines Lebens werden könnte. Bis auf einen kleinen Moment – vielleicht einen Abend – gab es nie Zweifel, dass ich hier richtig bin. Und heute, 30 Jahre danach, kann ich zurückblicken. Und ich fühle mich:

Versorgt

Ich habe nie Mangel gehabt. Weder in den letzten 30 Jahren noch die Jahre zuvor. Vielmehr hatte und habe ich mehr als genug. Es gibt so viele Situationen in denen ich Gottes Versorgung erlebt habe. Eine ganz besondere werde ich (hoffentlich) nie vergessen. Als ich neu in Halle war und anfing zu studieren waren irgendwann meine finanziellen Reserven aufgebraucht. Meine Eltern hätten sicherlich was vorgestreckt – dies wollte ich aber nicht. Ich war mir sicher, dass ich am richtigen Platz sei und ebenso, dass es eine Form von Versorgung gibt, die nicht mit menschlich intellektuellen Versuchen erklärbar wird.

Also auf die Knie. Ich bat Gott, mir deutlich zu zeigen, dass er mein Versorger ist. Theoretisch war mir das bekannt. Ich las es in der Bibel und kannte auch unterschiedliche Menschen, die dies erlebt hatten. Aber in der Bibel davon lesen ist etwas anderes als die Wahrheit der Bibel zu erleben. Letzteres tat ich in eindrücklicher Weise. Als ich ein oder zwei Tage nach dem Gebet meinen Briefkasten öffnete befand sich dort ein weißer, nicht beschrifteter Umschlag. Und in diesem Umschlag befand sich Geld. Bis heute ist es mir ein Rätsel. Aber manche Rätsel müssen auch nicht gelöst werden. Ich bin versorgt.

Getragen

Manchmal läuft das Leben nicht so, wie man sich das vorstellt. Früher dachte ich immer, es gibt diesen EINEN Plan Gottes – den muss man „herausbekommen“ und dann flutscht es. Vielleicht gibt es auch diesen einen guten und perfekten Plan – wahrscheinlich aber nicht.

Ich lebe in einer gefallenen Welt, bin selbst oft gefallen und andere habe ich zum Fallen gebracht. Zerbruch scheint zum menschlichen Leben – und auch zur Nachfolge – zu gehören. Auf unterschiedlichen Ebenen habe ich dies erlebt – Gemeinde, Beziehungen, Beruf und sogar der Berufung. In jedem Bereich habe ich gedacht und auch gespürt, dass es nicht weiter geht – zumindest nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte und vorgestellt hatte. Für mich war es schlimm, Dinge und Situationen nicht mehr kontrollieren zu können. Nicht beherrschen zu können. Den Überblick zu verlieren. Ich bin da sicherlich noch nicht ganz durch – aber schon viele Schritte weiter. Ich frage mich manchmal, warum es anderen scheinbar so leicht gelingt, Kontrolle abzugeben. Oder warum es anderen scheinbar so leicht gelingt, einfach und kindlich zu vertrauen. Es gibt diese eine Geschichte, die ich früher immer etwas kitschig fand:

Fußspuren im Sand

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedesmal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen
war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur
zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du
mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am
meisten brauchte?“

Da antwortete er:
„Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie
allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“

Heute habe ich einen anderen Blick auf diese Geschichte. Ja, Gott ist treu und er trägt wirklich.

Zugehörig

„Jeder Mensch hat die gleichen Bedürfnisse. Jeder Mensch möchte geliebt werden und dazugehören“. Dies sag ich allen jungen Menschen mit denen ich zu tun habe. Und letztlich ist es doch auch so. Dieses Bedürfnis ist nicht nur ein innerer Wunsch, sondern vielmehr eine in uns angelegte Sehnsucht. Geschaffen für Beziehungen. Zueinander und auch zu unserem Schöpfer. Verloren gegangen ist diese Zugehörigkeit durch den Sündenfall. Wiederhergestellt durch das Kreuz von Golgatha. Ich wäre wahrscheinlich beziehungsunfähig ohne die Wirksamkeit dieses Kreuzes in meinem Leben. Nun aber wirkt es und ich gehöre dazu. Nicht nur zu seiner großen und ewigen Community und Familie. Sondern in einem kleineren Rahmen zu einer überschaubaren Gruppe. Dies macht es greifbar, erlebbar und auch so wertvoll. Angekommen auf einer Reise, deren Ziel ich nicht kannte. Zugehörig. Ich bin mehr als dankbar dafür.

Geleitet

Da ist tatsächlich jemand. Er zieht hinter meinem Leben, hinter meiner Kulisse, die Fäden. Nicht – oder zumindest kaum – sichtbar.

Kein Puppenspieler, der mich wie eine Marionette hin- und her bewegt. Nicht jemand, der mich zum Abgrund führt oder seinen Spaß mit mir treibt. Nicht jemand, der als Schattenfigur Angst verbreitet. Sondern jemand, der Wege bereitet. Jemand, der Gutes für mich hat. Jemand, der sich nicht aufdrängt, sondern mich zu ihm hinzieht. Jemand, dem ich mich anvertrauen kann. Jemand, der gut ist – zu jeder Zeit. Und er ist noch längst nicht am Ende. Ich vertraue darauf, dass er weiter führt – und ich bete, dass ich mich seiner Führung anvertraue. Sein Name ist Jahwe. Der Gott der Bibel.