Letztens habe ich eine Mama und ihr Kind beobachtet, erst unabsichtlich, aber mir fiel bei ihrer Interaktion etwas sehr Bedeutsames auf.

Das Kind (ca. 3 Jahre) spielte gerade mit etwas und war vertieft und fröhlich. Die Mama (sichtlich schlecht gelaunt) bat das Kind etwas zu tun, doch das Kind reagierte nicht und spielte weiter. Kaum einen Augenblick später, riss ihr die Mama das Spielzeug aus der Hand und sagte etwas wie: „Das hast du jetzt davon, du hast mich sehr wütend gemacht! Jetzt denk drüber nach, was du falsch gemacht hast und entschuldige dich bei mir.“ Das Kind weinte bitterlich und verstand gar nicht was los war.

An dieser Stelle will ich deutlich machen, dass ich die Mama, von der ich hier erzähle, auf keinster Weise verurteile oder schlecht von ihr reden möchte, denn das Ding ist, ich habe auch schon in sehr stressigen Zeiten ähnliche Dinge gesagt und manchmal braucht man einen Spiegel, um das eigene Verhalten zu reflektieren.
Mich machte diese Situation sehr betroffen, weil ich die Kälte und Distanz zwischen der Mama und ihrem kleinen Kind förmlich spüren konnte. Doch wie kann es soweit kommen, dass das normale, vertiefte Spielverhalten eines kleinen Kindes so eine Reaktion bei ihrer Mutter auslösen kann?

„Die Mutter selbst war in Not“

Sicherlich gibt es dazu eine lange Vorgeschichte, auf neutralem Grund ist diese Situation nicht entstanden. Die Mutter selbst war in Not, das sah man ihr an und ihr Kind war in dem Moment der Sündenbock, wenn man so will. Es verhielt sich anders als sie es sich vorgestellt und erwartet hatte und somit wurde sie enttäuscht, die Kontrolle entglitt ihr und das brachte sie noch mehr in Not.
Dadurch, dass das Kind nicht auf die Aufforderung ihrer Mutter reagierte, fühlte sich die Mutter nicht gehört, nicht ernst genommen, nicht respektiert, hilflos und allein. Wut ist eine Sekundäre Emotion: das heißt, der Wut liegt eine tiefere, verborgene Emotion zugrunde – meist Traurigkeit, Scham oder Angst.

Das sind alles selbstverständlich nur Hypothesen über die Mama, die ich innerhalb weniger Augenblicke aufstellte, aber mich lies diese Situation mehrere Tage lang nicht ganz los. Ich fühlte die Not des Kindes und ich fühlte auch die Not der Mutter und das machte es für mich so interessant.

„Welche Last, welche Verantwortung dieses junge Kind tragen muss.“

Was ich aber ganz klar feststellte war, dass eine Sache in dieser Situation ganz deutlich fehlte. Und zwar Verbindung. Persönliche, liebevolle Verbindung zwischen Mutter und Kind. Die Mutter fühlte in dem Moment nicht mit dem Kind, wie es für sie sei, ihr Spielzeug aus der Hand gerissen zu bekommen, weil sie die Worte ihrer Mutter nicht aus dem Gewirr aller Sinneseindrücke rausfiltern konnte. Zudem die Aufforderung sich selbst zu fragen, was sie falsch gemacht habe – was mit 3 Jahren hirnphysiologisch schlicht nicht möglich ist.
Das Kind entschuldigte sich etwas später unter Tränen, um ihre Mutter zu beschwichtigen und das zu sehen tat mir irgendwie am meisten weh.

Welche Last, welche Verantwortung dieses junge Kind tragen muss. Der emotionale Zustand ihrer Mutter wird plötzlich von ihrem Verhalten abhängig gemacht und was ist es, was sie aus dem ganzen lernt? „Wenn ich was falsche mache, bin ich schlecht, verdiene es schlecht behandelt zu werden, erlebe Trennung. Ich muss Mama besänftigen, ich muss auf ihre Emotionen achten, sie nicht wütend machen. Ich muss es ihr recht machen, um nicht von ihr abgelehnt zu werden, denn von meiner primären Schutzperson abgelehnt zu werden ist für mich lebensgefährlich.“

Spinnen wir mal weiter: dieses Kind ist erwachsen. Welche Haltung wird sie möglicherweise an den Tag legen? Vielleicht Perfektionismus, aus Angst Fehler zu machen und nicht zu genügen? Vielleicht trägt sie die Lasten vieler Menschen auf sich, ohne auf sich selbst zu achten? Vielleicht versucht sie es allen recht zu machen, vielleicht kämpft sie mit Selbstablehnung, weil sie Angst hat den Erwartungen Anderer nicht gerecht zu werden, vielleicht ist sie überwachsam und ängstlich in sozialen Interaktionen, vielleicht zieht sie sich zurück, um niemanden zu verärgern, vielleicht übernimmt sie für alles die Verantwortung, um es unter Kontrolle zu haben und niemanden zu enttäuschen? Vielleicht fällt es ihr schwer tiefe Verbindungen zu Menschen einzugehen, weil sie unbewusst spürt, dass diese an Bedingungen geknüpft ist, die sie mit ihren Fehlern nicht erfüllen kann.

Das kann sein, wir wissen es nicht. Aber dieses Kind kommt mit trotzdem sehr bekannt vor, und die erwachsene Person umso mehr. Ich erkenne vieles davon bei mir, bei Freunden, bei Klienten mit denen ich arbeite. Und ich glaube, vielen geht es so.

Die Situation der Mama und ihrem Kind war nur eine kleine Momentaufnahme. Es kann sein, dass es ein sehr schwerer Tag war und die Reaktion etwas sehr Unübliches war. Das wird natürlich nicht zu all diesen ungesunden Verhaltensmustern führen, die ich oben genannt habe.

Jede und damit meine absolut jede Mama hat solche Tage. Und wenn das Kind auf einem aus Liebe gewebten Teppich liegt, ist ein Faden der inneren Trennung nicht gravierend. Wenn dies jedoch täglich passiert und das Kind die Botschaften in sich verinnerlicht, kann es definitiv negative Konsequenzen haben.

Fazit: Beziehung entsteht durch Verbindung

Was ist daraus für mich mitgenommen habe, war, dass miteinander in Verbindung bleiben so wichtig ist. Beziehung entsteht durch Verbindung, ich sehe den anderen und ich sehe mich in dem anderen. Ich bin ehrlich mit mir, ich sehe mein Kind an und sehe, dass es klein ist, dass es so vieles noch nicht versteht. Dass ich ihr die Welt zeigen darf. Und ich wünsche mir, dass sie die Welt als freundlichen Ort kennenlernt, an dem sie alles erkunden, erfahren und lernen kann, ohne für Fehler bestraft zu werden. Ein Ort, an dem sie in die Verbindung zu ihren Liebsten vertrauen kann, dass sie bedingungslos sind. Das ihr Wert nicht von ihren Fehlern abhängt, dass sie nicht da ist, um andere zufrieden zu stellen, sondern frei sein kann von der Meinung und den Erwartungen anderer. All dies finde ich, ist wichtiger, als dass ich mich ignoriert fühle.

Bevor ich mein Kind für meine Reaktion verantwortlich mache, ist es besser in mich zu gehen und zu fragen, was hinter der Wut steckt, die gerade aufkommt. Denn eine gute Mutter ist nicht ein permanent liebes und frommes Lämmchen, das keine Emotionen hat. Stattdessen fühlt eine gute Mutter alles, geht authentisch damit um, aber lässt sich nicht davon beherrschen. Sie kann reflektieren, was in ihr vorgeht, dafür Verantwortung übernehmen und die Emotionen liebevoll und mit Verständnis betrachten und weiterziehen lassen. An dem Prozess können Kinder auch schon teilhaben, wenn Mamas zum Beispiel ihre Gefühle benennen und klarstellen, dass es nicht die Schuld des Kindes ist, und sie sich jetzt um dieses Gefühl kümmert, dann die Augen schließt und ganz tief atmet und Stress vom Körper abschüttelt.

Es ist so wertvoll unsere Kinder auch an unseren emotionalen Momenten auf kindergerechte Art und Weise teilhaben zu lassen. Es lässt sie ein gutes Verständnis für ihre eigene Gefühlswelt erlangen und zeigt ihnen, dass Emotionen normal und auch wichtig und gut sind und dass sie nicht Gefahr und Trennung bedeuten, sondern sogar zu einer noch tieferer Verbindung führen können.

Fragen:

  • Welche Momente sind bei dir im Mama-Alltag übergekocht? Was ging dem Voraus?
  • Konntest du mit deinem Kind darüber ins Gespräch kommen und wenn ja, wie?
  • Wie kannst du Verbindung mit deinem Kind aufbauen?