Ich wurde auf einen Kalendertext aufmerksam gemacht, in dem stand: Wenn es leicht ist, ist es richtig. Diese Aussage wurde infrage gestellt, jedoch auch mit der weiterführenden Frage, ob das Leben denn nicht auch mal „schön“ sein darf. Ich fand es sehr spannend, da hier „schön“ mit „leicht“ gleichgesetzt wurde. Das Leben ist demnach schön, wenn es leicht ist. Ist das wirklich so?

Nährboden für negative Entwicklungen

Ich denke, dass genau diese Einstellung in der Gesellschaft vorhanden ist, ja dass diese Sichtweise auf ein „schönes“ (=leichtes) Leben dominiert. Und auch, dass gerade diese Sichtweise dazu führt, dass viele Menschen ihr Leben nicht als „schön“ betiteln würden. Mit dramatischen Folgen.
Aber nochmal zurück zur Sache. Insgesamt finde ich die Aussage, dass etwas richtig sei, wenn es leicht ist, sehr problematisch und gefährlich. Sowohl persönlich als auch gesellschaftlich. Einfache, also auch „leichte“ Antworten waren schon immer der Nährboden für Rechtspopulismus in Krisenzeiten. Das sieht man jetzt ja auch in der Gesellschaft. Aber es gibt halt im Regelfall keine einfachen Antworten – jedenfalls nicht, wenn man sich den gedanklichen Hintergrund einer Sache oder den Kausalzusammenhang von Ereignissen anschaut.

Entwicklung durch Herausforderungen

Aber auch persönlich birgt die Annahme, dass „leicht“ gleich „richtig“ ist, viele Gefahren hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung und der allgemeinen Lebensgestaltung. Auch hier muss man sich fragen: Wie entwickle ich einen starken Charakter? Wie sammle ich Erfahrungen und damit verbundene Lebensweisheit? Wie entwickle ich Stärke, um trotz verschiedener Umstände weitermachen zu können?
Eben nicht dadurch, dass ich immer die leichte Option wähle. Wenn ich immer nur die 1kg-Hantel nehme, werden meine Muskeln irgendwann auf einem Niveau bleiben. Genau so auch mein Verstand, Charakter, etc., wenn ich mich nicht verschiedenen Lebensaufgaben stelle. Und die sind in der Regel nicht leicht. Eine Beziehung führen ist nicht leicht. Keine Beziehung zu haben ist nicht leicht. Kinder haben ist nicht leicht. Arbeiten gehen ist nicht leicht. Lernen und studieren ist nicht leicht. Aber all das kann schön sein.
Wenn man versucht, es sich immer „leicht“ zu machen, endet es meistens nicht schön. Und das macht es nicht leicht. Wenn ich mein Kind vor allem beschützen und alles abnehmen will, damit mein Kind es „leicht“ hat, wird es mein Kind in Zukunft sehr schwer haben.

Unrealistische Vorbilder

Vielleicht kommt der Wunsch nach dem „leichten“ Leben mittlerweile aus der Prägung der Film- und Werbeindustrie. Kaufe dies, so wird es leichter. Sei so und so, so wird es leichter. Und in Filmen sieht man meistens nur Szenen, die „schön“ sind.
Das Geld ist irgendwie vorhanden und jemand verwirklicht seine Träume, als ob Zeit und Geld keine Rolle spielen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind meistens konfliktlos, oder Konflikte lösen sich irgendwie in perfekt ausformulierten Klärungsgesprächen mit der plötzlich vom Himmel fallenden Harmonie der Versöhnung auf. Das „wahre“ Leben findet dabei außerhalb der Arbeit statt. Das „wahre“ Leben ist dort in der Leichtigkeit der Entspannung und den aufregenden Freizeitaktivitäten zu finden.
Ja, man darf das Leben auch genießen. Und es darf auch mal leicht sein und sich auch leicht anfühlen. Und Entspannung ist wichtig und muss sein. Aber liegt in dieser „Leichtigkeit“ die Erfüllung eines schönen Lebens?

Privilegierte Leichtigkeit

Ist dieser Gedanke nicht auch ziemlich westlich-kulturell geprägt? Wird damit nicht ein Ideal einer realitätsfernen nichtendenden konsumorientierten Wohlstandsgesellschaft bedient? Und spricht man damit Leuten, die es aus unserer Sicht „schwer“ im Leben haben, ein schönes Leben ab? Was ist mit Menschen aus dem globalen Süden, wo es öfter vorkommt, dass man sein Leben lang tagtäglich damit beschäftigt ist, die Familie zu ernähren. Sprechen wir ihnen ein „schönes“ Leben ab? Oder was ist mit den ärmeren Menschen auch bei uns. Können sie kein schönes Leben haben? Wenn man der Definition folgt, wie sie einem beispielsweise durch das Fernsehen vermittelt wird (leicht = schön und richtig), dann nein.

Stress durch Leichtigkeit?

Und auch ganz persönlich hier als junger Mensch kann diese Vorstellung zu einer ziemlichen Falle werden. Das, was man machen „muss“ (Arbeiten und Studieren z.B.), steht dem „schönen“ Leben plötzlich im Weg. Es zieht einen runter, es fällt einem schwer – und damit fühlt es sich nicht mehr richtig an. Und dann fängt man vielleicht an, sich seine freie Zeit mit Dingen vollzuhauen, die einem das Gefühl des idealen Lebens vermitteln – das Gefühl das zu tun, was etwas „wert“ ist. Gebraucht zu sein.
Und komischerweise kann auch das voll stressen – aber man möchte doch „leben“ neben den ganzen Sachen, die man machen „muss“. Ich denke, dass ein Grund für die vielen psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen die Überlastung ist, die entsteht, wenn man sich neben seiner Arbeit, der Ausbildung oder dem Studium noch dies und das auflädt, weil man den inneren Stress hat, ein „schönes“ und „erfülltes“ Leben führen zu müssen. Und das kann man ja nur in selbstgewählten Dingen finden, die einem „leicht“ erscheinen – eben, weil man es eigentlich nicht „muss“.
Und deshalb macht man dann noch so viele Dinge, die doch eigentlich leicht und schön sind, die eigentlich das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung vermitteln sollten. Aber nicht immer ist die Zeit dafür richtig. Und das, was eigentlich gerade dran ist, geht darin unter oder wird als Feind des schönen Lebens angesehen. Und so wird das, was nicht als „leicht“ oder „schön“ identifiziert wird, abgelehnt – wenn auch vielleicht unterbewusst. Und das kann zu echter Frustration und Überlastung führen, im schlimmsten Fall zu einem Lebensüberdruss.

„Schönheit ist nicht die Abwesenheit von Kontrast“

Wenn man wirklich denkt, dass „leicht“ gleich „schön“ ist und dass das, was „leicht“ ist auch richtig ist, dann sollte man sich vielleicht mal Gedanken machen und seine Einstellungen und Definitionen hinterfragen. Schönheit ist nicht die Abwesenheit von Kontrast. Die Kunst und die Musik beispielsweise leben von Kontrast. Ohne Kontrast kommt einem alles ziemlich langweilig vor. Erfüllung ist nicht nur außerhalb des „vorgegebenen“ Alltags zu finden. Verstehe mich nicht falsch. Ich finde auch, dass Ausgleich und Entspannung wichtig sind.
Doch wenn einem Dinge nicht leichtfallen, heißt das nicht, dass es nicht richtig ist. Ich denke, dass Menschen, die sich nur auf den „leichten“ Weg ausgerichtet haben, keine wirkliche Veränderung im Leben bewirkt und erlebt haben. Und dass auch in der Bewältigung von Aufgaben, die einem nicht leichtfallen, Schönheit und Befriedigung erlebt werden kann.

Obama als Vorbild

Vermutlich stehen wir als jüngere Generation vor der Herausforderung, dass so viel möglich ist und wir schon jetzt möglichst viel erleben, erreichen und bewirken möchten.
Barack Obama hat mal einer 28-jährigen Frau gesagt, die wohl etwas gefrustet war, dass sie ja noch mehr erreichen will und könnte, dass er in ihrem Alter noch studiert hat und nicht wirklich wusste, was er machen will. Das ist krass. Mit anderen Worten sagte er der jungen Frau, dass sie sich keinen Stress machen soll und sich auf das konzentrieren soll, was gerade ansteht.
Wenn du beispielsweise gerade studierst, dann könntest du darauf achten, wie deine Einstellung dazu ist. Steht dir das Studium gefühlt „im Weg“, weil es dir schwerfällt, dafür andere Dinge liegen zu lassen? Hast du deshalb vielleicht keine Lust mehr auf das Studium und bist erschöpft, weil du versuchst, die Zeit, die dir noch bleibt „sinnvoll“ zu nutzen? Vielleicht hilft da ein Umdenken. Man muss nicht alles auf einmal erleben und machen. Und auch eine schwere Aufgabe, die sich länger hinzieht, ist sinnvoll und kann „schön“ sein, wenn man sich nicht (unterbewusst) dagegen wehrt.

Alles zu seiner Zeit

Jemand, dessen Gedanken in der Bibel stehen, hat auch mal ziemlich pessimistisch aufs Leben geschaut. Aber eine Weisheit, die er erkannt hat, lautet folgendermaßen:

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. (…) Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“
– Prediger 3,1+10-13 (Luther)

Vielleicht ertappst du dich ja dabei, dass du eigentlich auch denkst, dass „leicht“ gleich „richtig“ und „schön“ ist. Und dass du beim Versuch, ein „ideales“ Leben zu führen, ziemlich erschöpft wirst und Dinge, die eigentlich gerade dran wären, darunter leiden und das noch mehr stresst und deprimiert. Dann hoffe ich, dass dir dieser (ziemlich lang ausgefallene) Gedankenanstoß dabei helfen kann, deine Einstellung zur Lebensgestaltung und zu anstehenden Aufgaben noch einmal zu überdenken. Gott segne dich dabei.