Wonach ich mich gerade sehr sehne sind tiefe zwischenmenschliche Beziehungen. Oft fühle ich mich aber nicht gesehen. Es kommt mir vor, als stünde etwas zwischen mir und den meisten Menschen in meiner Umgebung.

Letztens kam mir dann die Realisation, dass ich seit einiger Zeit wirklich fast immer Augenkontakt meide. Es ist als würde ich mich verstecken, indem ich niemandem länger als wenige Sekunden in die Augen schaue. Oft schaue ich bei Gesprächen umher. Auch wenn ich fokussiert dabei bin, konzentriere ich mich statt auf den Blick meines Gegenübers, auf irgendetwas anderes. Am leichtesten fällt es mir tatsächlich beim Spazieren ein Gespräch zu führen, da man automatisch eher nebeneinander hergeht und Augenkontakt während des Gesprächs vermeidbar ist.

Ich kann gar nicht genau sagen, wann es anfing, aber es ist mir jetzt mittlerweile klar geworden, dass dies mit ein Grund ist, warum ich mich oft abgeschottet fühle. Warum es so ist, finde ich gerade noch heraus. Meine Vermutung ist aber, dass gerade weil ich dieses Jahr dem ‚Freiwerden von Scham‘ widme, die Scham, die tief in mir steckte, immer mehr und stärker zum Vorschein kommt. Es ist wie ein langer, tiefer Reinigungsprozess. Die Erkenntnis, dass ich Augenkontakt so schwer aushalte, ist ein weiterer Schritt für mich die Scham dahinter zu entlarven und einen Schritt weiter hin zur Freiheit.

Was passiert, wenn man sich in die Augen schaut. Man sieht tatsächlich mehr von der Person als zwei runde Auswüchse des Gehirns, die uns als Sehorgane dienen. Man sieht oft wie es der Person wirklich geht, selbst wenn ein Lächeln im Gesicht ist. Mann sieht Freude und Schmerz, Trauer, Begeisterung, Leuchten und Angst. Wenn man es nicht zeigen kann, ist eine tiefe zwischenmenschliche Begegnung äußerst erschwert. Bei kleinen Kindern merkt man schon, wie sie immer nach den Augen ihrer Eltern suchen und lange innehalten. Auch bei Fremden wird der Blick lange nicht abgewandt, um herauszufinden, mit wem man es da zu tun hat. Wir Erwachsene schauen Fremden an der Kasse wohl kaum so lang in die Augen. Das wäre ja auch komisch. Aber gerade unter Freunden, bei tiefen Gesprächen, schaue ich schnell wieder weg.

Doch woher kommt denn diese Angst, was möchte ich unterbewusst nicht zeigen? Was kann denn realistisch Schlimmes passieren, wenn ich jemandem in die Augen schaue?
Im Grunde bewegt mich oft die Angst abgelehnt zu werden. Wenn ich mich also gar nicht erst zeige durch meine Augen, kann ich auch nicht abgelehnt werden. Einem Blick standzuhalten, braucht viel Selbstsicherheit.

Bei einem meiner letzten Wild Heart Frauen Seminare nahmen wir uns zur Aufgabe einander zu zweit ca. 4 Minuten in die Augen zu schauen. Fast alle berichteten von unangenehmen, anstrengenden Gefühlen zu Beginn, doch mit der Zeit konnten sich diese lösen und man nahm einfach auf, was man sah und teilte es hinterher miteinander. Es war echt bewegend, was dabei herauskam. Es entstanden ganz automatisch tiefe Begegnungen auch zwischen Frauen, die sich kaum kannten.

Ich kam letztens zur Bibelstelle, bei der Jesus einem Blinden die Augen heilt und ich sah mich plötzlich in der Rolle des Blinden. (Johannes 9, 6-7)
Ich fühle mich gerade so, als seien meine geistlichen Augen verschlossen. Vieles, was mir sonst immer leicht fiel zu sehen und erkennen ist gerade kaum möglich. Ein prophetisches Bild zum Beispiel.

Und auch meine leiblichen Augen sind in einer gewissen weise nicht offen. Wenn ich jemanden begrüße, ohne ihm in die Augen zu schauen, ist es so, als hätten wir uns nicht gesehen.

Bei der oben genannten Bibelstelle liebe ich, wie Jesus den Blinden heilt. Er sagt zunächst, dass an dem Blinden sichtbar werden soll, was Gott tun kann und er das Licht der Welt ist. Dann heilt Jesus ihn auf eine mysteriöse Art uns Weise. Dieser Mann tat aber genau das, was Jesus von ihm verlangte, er nahm seine Heilung an.
Genauso nehme ich seinen Auftrag an, meine Augen von ihm salben zu lassen. Er gibt mir den Auftrag mitzuwirken. Sie reinigen zu lassen. Ich möchte wieder durch meine Augen gesehen werden, ich möchte ein Leuchten verbreiten, ich möchte auch mehr mitteilen als mit Worten möglich ist. Öffnen muss ich meine Augen nun selbst, mich trauen, gesehen zu werden. Denn danach sehne ich mich ja. Wirklich zu sehen und gesehen zu werden und genau das lasse ich mir ab jetzt nicht mehr nehmen.

  1. Wann hattest du zuletzt langen, tiefen Augenkontakt mit jemandem?
  2. Wie geht es dir, wenn dich jemand wirklich sieht?
  3. Wonach sehnst du dich gerade?