Selbstbewusst zu sein bedeutet auch, zu wissen was man will. Sich reflektieren und wahrnehmen zu können und festzustellen, wo gerade Bedürfnisse aufkommen und diesen, wenn möglich, nachzukommen.
Ich habe genau damit gerade so richtig Schwierigkeiten. Seit einigen Monaten gehe ich aus verschiedenen Gründen zur Seelsorge, aber was gerade jedes Mal aufkommt, hatte ich ursprünglich gar nicht als Anliegen auf dem Schirm.
Und zwar, dass ich meine Bedürfnisse nicht richtig klar wahrnehmen kann und wenn dann oft viel zu spät oder ich nehme mir nicht die Freiheit, sie einzufordern oder mir dafür Zeit zu nehmen. Ich glaube, es ist schwieriger für mich geworden, seit ich Mutter bin. Mein Fokus in den letzen 2½ Jahre war immer die Bedürfnisse meiner Tochter wahrzunehmen und dem nachzugehen. Bedürfnisorientiert zu erziehen beinhaltet aber genauso seine eigenen Bedürfnisse zu beachten und ernst zu nehmen. Genau das hab ich fast verlernt und das fällt jetzt langsam auf.

Die Wurzel davon liegt aber viel tiefer. Schon als Kind kann ich mich an viele Situationen erinnern, in denen ich nicht geäußert habe, was ich brauchte und wollte. Ich hatte oft die Sorge, dass meine Bedürfnisse jemandem (vor allem meiner Mutter, der es oft nicht gut ging) zur Last werden könnten. Ich wollte keine Bedürfnisse haben, um so einfach, ruhig und unbelastend wie möglich zu sein.

Ruhig war ich. Auffällig ruhig. Jeder, der mich von damals noch kennt, würde das bestätigen. Ich hab so gut wie nie etwas gesagt, einfach weil ich kein Grund für Ärgernis sein wollte. Ich wollte nicht negativ auffallen, stören, nerven. Meine Strategie war immer der Rückzug.

Mittlerweile wird das wirklich zu einem Problem. Bei der Seelsorge hatte ich letztens ein Bild über meinen inneren Zustand bekommen, der sehr eindrücklich für mich war. Ich sah eine Festung, eine Burg, deren Mauern ich immer mehr verstärkte, damit nichts ein- oder ausdringen kann. Das Tor fest verschlossen und mehrfach verbarrikadiert. Nur ganz selten konnten mir vertraute Personen rein.
Während ich mit dem Sichern der Außenmauern beschäftigt war, fing es im Innern der Festung an zu brennen. Je höher die Flammen, desto stärker schützte ich die Mauern, damit niemand mitbekommt, was drinnen los ist und ich mich selbst dem nicht stellen muss..
Doch die Gefahr droht, dass die Ganze Festung in Flammen aufgeht. Etwas in mir – mein inneres Kind – schreit, möchte beachtet werden, seine Bedürfnisse äußern, einfach da sein. Es legt Feuer, um bemerkt zu werden, doch das bringt alles ins Wanken.

Es wird Zeit sich dem zu widmen, was da in mir schreit und bemerkt werden möchte, noch bevor alles in Flammen aufgeht. Der wichtigste Schritt ist immer das Bewusstwerden, daher sehe ich mich gerade mitten im Prozess hin zu mir selbst und der Frage: Was will ich? Was brauche ich? Was tut mir gut?

Es sind die kleinen Entscheidungen im Laufe des Tages. Schon mit den ersten Augenblicken nach dem Aufwachen, bis hin zu den Letzten kurz vor dem Schlafen. Lenke ich mich nur ab, versuche ich alle anderen zuerst zufrieden zu stellen?
Das ist nicht möglich, ich kann die Welt nicht zufriedenstellen, ich kann aber bei mir selbst anfangen. Denn wenn ich weiß, was ich brauche und was mir gut tut, kann ich der Welt und den Menschen, die ich liebe, weitaus besser helfen, als wenn ich mich ausbrennen lasse, nur um es allen zuerst recht zu machen und mich selbst immer hinten anzustellen.

Ich bin sehr dankbar für diesen Prozess, weil ich mir sehr wünsche, dieses Jahr Fortschritte hin zu mehr Selbstbewusstsein zu schaffen und ich weiß, dass Gott mich durch und durch kennt und ich in seiner Nähe auch zu mir selbst zurückfinde.

Ja, noch ehe mir ein Wort über die Lippen kommt, weißt du es schon genau, Herr. Von allen Seiten umschließt du mich und legst auf mich deine Hand. Ein unfassbares Wunder ist diese Erkenntnis für mich; zu hoch, als dass ich es je begreifen könnte.

– Psalm 139, 4-6 (NGÜ)
  1. Was tut dir gut?
  2. Was brauchst du wirklich?
  3. Kannst du gut auf deine Bedürfnisse hören, sie dir eingestehen und einfordern?