Wenn eine Familie wächst, verändert es das Leben von allen in der Familie nachhaltig. Damit natürlich auch das Leben des erstgeborenen Kindes. Mir war natürlich bewusst, dass es zu Schwierigkeiten kommen kann, wenn das ehemalige Einzelkind „vom Thron gestoßen wird“. Diese Phrase fand ich jedoch schon immer unpassend.. man könnte doch einfach noch einen Thron dazustellen? Aber mal im Ernst, so einfach ist es nicht, den älteren Geschwisterchen volle Aufmerksamkeit zu schenken, wenn ein Baby einzieht.

Wenn die ganze Aufmerksamkeit beim Baby ist

Zu Beginn ist mir das nicht aufgefallen, weil das Baby nicht so viel einforderte und einfach immer dabei lag oder getragen wurde. Aber jetzt, so mit eins, sieht es ganz anders aus. Das Wort „Nein!“ wird nicht gerade sparsam verwendet, sie klettert überall hoch, erkundet jeden Winkel der Wohnung, will ständig schmusen, wird gefüttert, kurzum: sie bekommt den ganzen Tag Aufmerksamkeit. Und die Große? Sie spielt nebenbei mit ihren Puppen, malt in ihrem Zimmer, isst selbstständig. Irgendwie ist es fast umgekehrt wie am Anfang: manchmal ist die Große halt so da, während ich mich mit dem Baby beschäftige.
Weil es sie nicht groß zu stören schien und sie sich nicht beschwerte, lief das eine ganze Weile so, bis ich wieder in den Beruf einstieg und deutlich mehr Stress in unseren Alltag kam.

Eine eine Zeitlang hatte ich deutlich weniger mentale Kapazität für unsere Große. Wenn ich sie zum Kindergarten brachte und abholte, dann war entweder ihre Schwester mit oder meine Gedanken waren schon bzw. noch bei Herausforderungen bei der Arbeit. Und hinterher war es eher ein notdürftiges Beschäftigen, als wirklich was zusammen unternehmen.

Frust und negatives Verhalten

Mit der Zeit wurde ihr Verhalten auffälliger. Ihre vorsichtige, achtsame, rücksichtsvolle Art wie wir sie kennen, wich vermehrt lautem Frust, Verweigerungen und Aggression gegenüber uns Eltern und auch gegen die Kleine. Unsere erste Reaktion im Affekt war dann oft ein: „Hey das geht gar nicht, hör auf dein Schwerter zu schubsen“ etc. Unser Fokus war ganz klar auf dem negativen Verhalten, aber nicht auf dem Grund dahinter. Nicht auf Ihr.

Als ich letztens bei einer Familienberatung saß und gefragt wurde, in welchen Situationen dieses Verhalten vermehrt auftritt, fiel es mit wie Schuppen von den Augen: Es kam sehr oft dann vor, wenn sie wenig direkte Aufmerksamkeit von uns bekommen hatte. Mir fiel dann auch auf, wie oft ich in letzter Zeit fast wehmütig über die Zeit nachdachte, als wir nur ein Kind hatten und die vielen schönen Erlebnisse, die ich mit meiner Großen alleine hatte. Ich vermisste sie regelrecht und ihr ging es vermutlich genauso. Aber weil sie mit fast 4 Jahren ihre Gefühlswelt nicht so klar reflektieren und benennen konnte, kam es zu diesen Handlungen aus Frust und die (negative) Aufmerksamkeit verstärken jene auch noch.

Zeit für jedes Kind alleine

Mit dieser Erkenntnis ging ich nachhause und hatte schon am Nachmittag wieder eine Situation, in der Sie ihre kleine Schwester mit Absicht aus dem Weg boxte, als diese gerade zu mir auf den Schoß klettern wollte. Meinen anfänglichen Ärger darüber schluckte ich runter und hielt kurz inne, versetzte mich in ihre Lage und fragte einfach: „Du möchtest Mami für dich alleine haben, stimmt’s?“ Da antwortete sie „Ja ich will alleine auf deinen Schoß.“ Ich merkte wie sich ihr kleiner Körper in meinem Arm entspannte und unsere Verbindung wurde, nur durch diesen kurzen Wortwechsel, spürbar tiefer und stärker. Wir blieben beide ganz ruhig und ich hielt sie.

Seit dem priorisiere ich Zeiten mit beiden meinen Töchter jeweils alleine, in denen ich viel mit Augenkontakt auf ihre Höhe komme. Wir schmusen, necken uns, machen einen wilden Tanz durch die Küche und ich sage immer wieder zwischendurch, wie sehr ich sie liebe und das ganz ohne Grund. Das alles mache ich jetzt noch bewusster als zuvor und die Zeiten sind immer so wertvoll und die Wirkung sofort bei uns allen bemerkbar. Es müssen auch keine Stunden sein, das wäre im Alttag oft nicht machbar, sondern machmal sind es kurze Momente, ein durch Knuddeln zwischendurch oder ein kurzes Gespräch, ein Blick in ihre Augen und ein herzliches Lächeln.

Die Wecker Methode

Wenn ich trotzdem das Gefühl habe, dass es im geschäftigen Alttag untergeht und vieles an meiner Aufmerksamkeit zerrt, funktioniert auch die Wecker Methode sehr gut. 10 min einstellen, es klar mit dem Kind kommunizieren und bis der Wecker klingelt nur ihr volle Aufmerksamkeit schenken. Man kann es wie ein „Emotionales Akku aufladen“ sehen. Das rote, klingende Warnsignal hört auf, wenn es das bekommt, was es wirklich braucht. Einem Handy reicht es nicht neben der Ladestation zu sein oder einseitig eingesteckt. So kann man es auf uns mit unseren Kindern übertragen: ein langer Tag, getrennt voneinander braucht ein intensives wiederaufladen. Und das braucht nicht nur das Kind, auch für uns Mamas ist es unfassbar heilsam und schön in Verbindung mit unseren Kleinen zu kommen und zu bleiben.

Fragen:

  • Wie kommst du am Besten mit deinem Kind in Kontakt?
  • Gibt es bei deinem Kind auch negatives Verhalten, das du bisher eher abgelehnt statt hinterfragt hast?
  • Was braucht ihr zum emotionalen Aufladen? Wie sieht es für euch konkret aus?