Dieses Jahr war eines der anstrengendsten für mich. Das lag größtenteils daran, das ich seit Januar wieder arbeiten ging und nach Feierabend voll und ganz für meine Tochter da war. Bei der Arbeit kümmerte ich mich den ganzen Tag um Menschen, mit ihren verschiedensten Problemen und Herausforderungen. Ich zerbrach mir manchmal abends im Bett noch den Kopf, wie ich das ein oder andere Problem eines Klienten lösen könne. Und dabei ging ich natürlich viel zu weit über meine Verantwortung als Sozialarbeiterin hinaus. Ich versuchte alle zu retten und zufrieden zu machen. Sowohl beruflich, als auch privat.
Der Gedanke, ich könne meinen Aufgaben nicht gerecht werden, jemand sei mit mir enttäuscht oder größere Probleme kämen auf jemanden zu, weil ich mich nicht genug einsetzte, beschwerten mein Gemüt sehr, sehr oft in den letzten Monaten. Wenn ich nachhause kam, war ich voll und ganz für meine 2-Jährige Tochter da oder versuchte so viel Zeit wie möglich mit meiner Schwester zu verbringen, die den Sommer über zu Besuch war. Ich opferte mich quasi von morgens bis abends komplett für andere auf und dabei ging mein eigenes Herz unter.

Natürlich war nicht alles so schwer und negativ, wie es jetzt vielleicht klingt. Die Arbeit hat mir auch oft Spaß gemacht, nicht alle Klienten waren anstrengend oder steckten in enormen Schwierigkeiten und zuhause hatte ich auch oft viel Spaß mit meiner Tochter und unseren Abenteuern. Und ich war sehr froh meine Schwester aus Australien bei mir zu haben. Aber das Problem war, das ich verlernte, auf mich zu achten, was meine Bedürfnisse sind, wie es meinem Herzen geht, wonach ich mich wirklich sehne. Ich habe all dies stummgeschaltet, weil ich keine Zeit und Raum dafür gesehen habe. Wichtiger waren die anderen.

Was jetzt sehr altruistisch klingt, habe ich allerdings im Laufe des Sommers feststellen müssen, war bei mir größtenteils egoistisch. Denn ich wollte alle glücklich machen, ja, aber nicht in erster Linie damit sie einfach glücklich sind, sondern, damit sie gut von mir denken.
„Nein“ zu sagen fällt mir sowieso schon immer schwer und das fiel auch bei der Arbeit auf. Ich nahm jeden Fall an und hing mich voll und ganz rein. Ich wollte meine erfahrenen Kollegen und Vorgesetzte beeindrucken, mich bei meinen Klienten beliebt machen, meinen Mann und Tochter, sowie meine Schwester und ihre Familie zufriedenstellen.. es einfach allen recht machen. Ich hatte Angst zu enttäuschen und die ‚Täuschung‘, die ich versuchte, aufrecht zu erhalten, zerbröckeln lassen.

Weil ich persönlich nach wie vor sehr mit meinem Selbstwert hadere, war es in dieser Zeit wie eine Ersatzdroge von außen bestätigt zu werden. Ich war stolz auf meine Arbeit und was ich alles schaffte und nebenbei Mutter und Ehefrau zu sein.
Wenn jemand fragte, was ich mache, erzählte ich es gerne und so beschäftig zu sein, gab mir ein Gefühl von Wichtigkeit und Wert. Mein Wert steckte in meiner Geschäftigkeit.

Im Laufe des Jahres sprachen Sascha und ich oft von einem zweiten Kind und der Wunsch danach wuchs immer mehr. Doch ich hatte echt Angst davor, dann nicht mehr weiterarbeiten zu dürfen, sowie es bei den letzten beiden Schwangerschaften der Fall gewesen war. Als der Wunsch jedoch größer wurde als die Angst und Gott uns vor etwas mehr als drei Monaten ein weiteres Mal auf die Reise schickte, Eltern zu werden, kam es wie ich es ‚befürchtete‘.
Eine Woche nachdem ich meiner Vorgesetzten von meiner Schwangerschaft erzählte, hielt ich das Beschäftigungsverbot in den Händen. Einerseits war ich enorm erleichtert, weil ich so, wie es gerade lief, nicht weitermachen konnte – das wusste ich ganz genau. Andererseits fiel diese Geschäftigkeit, das Helfen, die Anerkennung und mein daran aufgehangener Selbstwert in sich zusammen und ich fand mich vor einer großen Leere wieder. Ich stellte fest, dass ich verlernt hatte, mich um mich selbst zu kümmern und die vielen Stunden, die ich jetzt plötzlich hatte, waren zuerst fast wie eine Qual.

Da all dies noch gar nicht lange her ist, bin ich gerade Mitten in dem Prozess, wieder zu lernen, mich um mich selbst zu kümmern, mir Gutes zu tun. Etwas zu tun, das keinen anderen beeindruckt, sondern einfach nur für mich ist. Ich lerne gerade, dass mein Selbstwert nicht in dem steckt, was ich beruflich und privat leiste und vorweisen kann, auch nicht in all dem Guten was ich für Bedürftige tue, dem ‚altruistischem‘ Handeln.
Mein wahrer Wert wird mir einzig und allein von Gott persönlich zugesprochen. Gott kennt mich am Besten und er bringt mir gerade wieder bei, mir Zeit für mich zu nehmen, mich selbst als wertvoll zu erachten. Auch ohne ständig auf Achse zu sein.

Einen langen Spaziergang in der Herbstsonne, ein Buch im Lieblingscafé lesen, Tagebuchschrieben, lang vergessene Lieder wiederentdecken, Fotoalben durchblättern, Kunst machen. All das ist gerade so unfassbar wichtig für mich und wenn mich jemand fragt, was ich den ganzen Tag mache, und ich ihm genau das sage, ist es völlig egal, was die Person davon denkt. Ich weiß, ich brauche diese Zeit jetzt zur Heilung und Wiederherstellung – für mich selbst, für meinen Mann und meine Tochter, für meine Beziehung zu Gott und einfach für mein Herz.

  1. Siehst du dich selbst als wertvoll?
  2. Welche Rolle spielt es für dich, was andere von dir halten?
  3. Wann hast du zuletzt etwas für dein Herz getan?