Was bedeutet es introvertiert zu sein? Ist es wirklich nur auf soziales Verhalten zu beziehen und wie spielt Hochsensibilität da mit rein?
Ich musste in letzter Zeit öfter über diese Fragen nachdenken und habe darüber schon etwas länger recherchiert und oft im Austausch mit Freunden neue Erkenntnisse dazu gefunden.
Trotzdem habe ich mich vor kurzem erneut die Frage gestellt: Bin ich eigentlich introvertiert, hochsensibel oder vielleicht sogar doch extrovertiert? Die Frage kam auf, weil ich gemerkt habe, dass ich mich hin und wieder matt fühlte. Und das schon seit längerem. Ich stellte fest, dass dieses Gefühl der Energielosigkeit viel stärker war, wenn ich viel Zeit alleine verbrachte und mit kaum jemandem sozial interagierte. Das ist gerade jetzt in meiner Elternzeit, in der ich nicht zur Arbeit gehe, viel häufiger geworden. Und eine Sache hatte ich noch im Hinterkopf über extrovertierte und introvertierte Menschen: Erstere beziehen ihre Energie aus sozialen Kontakten und Geselligkeit, von außen sozusagen und Introvertierte dagegen von der Zeit der Ruhe und im Alleinsein mit sich und der Gedankenwelt. Bis vor kurzem hätte ich bei der Frage zu welchem Pol dieses Persönlichkeitsspektrums ich mich einordne, sofort mit „introvertiert“ geantwortet. Schließlich bin ich in Gruppen fast immer die stille Beobachterin, meine Gedankenwelt ist unglaublich wild und laut und intensiv, aber kaum etwas passiert die Grenzen meiner Lippen, selbst in intimer und freundschaftlicher Gesellschaft. Außerdem liebe ich stundenlange Waldspaziergänge und die Geräusche der Natur lassen meine Seele atmen. Seit Jahren reizen mich Nächte in Tanzclubs und laute gesellige Runden wenig, es sei denn, es ergeben sich dabei gute, tiefe, persönliche Begegnungen und Gespräche. Auf Smalltalk dagegen reagiere ich nahezu allergisch.
Doch, wie gesagt, seit einiger Zeit merke ich, wie ich mich auf langen Spaziergängen nach Gemeinschaft sehne (abgesehen von meiner meist schlafenden Tochter, die ist natürlich immer mit dabei). Wenn ich mehrere Tage nacheinander keine Verabredung, kein Telefonat oder ähnliches mit Freunden hatte, fehlt mir wirklich etwas. Nach einem ehrlichen, tiefen Gespräch fühle ich mich äußerst lebendig, ja sogar lebendiger als nach stundenlangem Nachsinnen in einsamer Stille.
Ich liebe es auch unbeschwert und ausgelassen zu tanzen, zu reisen, neue Menschen zu treffen und mich ins Ungewisse zu stürzen. All dies lässt mich ein Fragezeichen hinter meiner bisher so klaren Antwort setzen. Es ist natürlich klar, dass jeder Mensch von beidem etwas in sich trägt. Doch ich habe die extrovertierten Anteile in mir lange nicht wahrgenommen, weil ich dachte, das passt irgendwie nicht zu mir. Ambivertiert nennt man wohl das, wenn man gleichermaßen introvertiert und extrovertiert ist.
Es hat aber wiederum etwas Befreiendes, sich komplett von diesen Schubladen zu trennen und sich einfach mal so sein zu lassen, wie man ist. Denn allein schon unterschiedliche Situationen rufen unterschiedliche Persönlichkeitsspektren hervor. Zumindest bei mir ist das so.
Zuhause mit meiner Familie verhalte ich mich viel freier und natürlicher als unter Fremden und wenn ich etwas leite, bin ich auch viel extrovertierter, als wenn ich nur teilnehme. Wenn jemand sehr laut und selbstbewusst ist, werde ich meist still und zurückgezogen in dessen Gegenwart. Und wenn jemand sehr unsicher und scheu zu sein scheint, kann ich viel mehr meine selbstbewusste Seite zeigen.
Trotz alldem neigen wir Menschen doch dazu uns sehr gerne irgendwie einordnen zu können.
Ein Begriff der mir sehr weitergeholfen hat ist „Hochsensibilität“. Denn tatsächlich sind viele, die sich bislang als introvertiert eingestuft hätten im Grunde hochsensibel. Ihre Wahrnehmungen wirken viel intensiver auf sie ein und daher halten sie sich viel lieber fern von lauten, überfüllten Parties etc., während auch für Hochsensible soziale Kontakte und Gemeinschaft mit anderen trotzdem unverzichtbar für das Wohlergehen ist. Das ist natürlich nicht alles, was es zu diesem wichtigen und komplexen Thema „Hochsensibilität“ zu sagen gibt, aber das würde jetzt hier zu weit führen. Wer mehr darüber wissen will, kann das sicher selbst recherchieren – was ich sehr empfehle.
Persönlichkeiten sind einfach etwas Komplexes. Man kann jegliche Persönlichkeitstests über sich machen und trotzdem nicht viel schlauer sein als vorher. Und das ist auch gut so. Wichtig ist und bleibt, dass man nicht aufhört auch sich selbst gegenüber offen und neugierig zu bleiben; sich selbst immer wieder besser und sogar neu kennen zu lernen; in gewissen Situationen seiner Persönlichkeit entsprechend zu reagieren und sich nicht krampfhaft anpassen oder verstellen zu müssen.
Wenn du ganz frei du selbst sein kannst, werden dich die Leute auch so sehen und lieben, wie du bist, eben nicht eine verstellte Version deiner Selbst. Wenn du dich respektierst, wirst du auch von anderen respektiert. Und das hast du verdient.
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