Dich gibt es auf dieser Welt seit etwas mehr als 31 Jahren und auch, wenn das nicht sonderlich lange ist, hast du schon viel durchgemacht. Du hast mich durch so viele wunderschöne und schreckliche Momente gebracht, doch lange bin ich alles andere als gut mit dir umgegangen. Nun möchte dir einfach mal danken.
Schon nach der Geburt..
Schon kurz nach der Geburt hast du gegen eine schwere Infektion gekämpft, musstest fremdes Blut durch deine jungen Venen pumpen um zu leben. Danke, dass du es geschafft hast. Du hast gekämpft und wurdest geheilt und bist trotz meiner Nahrungsverweigerung, langsam aber sicher, gewachsen und hast gelernt zu krabbeln, zu laufen, zu sprechen.
Als Schulkind hast du nachts Symptome gezeigt, die ich nicht einordnen konnte und aus Angst niemandem davon erzählte. Doch als du sie eines Tages auch am Tag zeigtest, kam Hilfe und du hast auch da für unsere Genesung gekämpft.
Trotzdem war ich schon früh nicht ganz zufrieden mit dir. Du warst immer schon viel kleiner als meine Freunde und zu dünn. Ich verglich deine Form mit der meiner Mitschülerinnen und hatte immer das Gefühl nicht gut genug zu sein. Immer wieder wurde ich für meine Größe geneckt, doch dass es an der frühkindlichen, schweren Krankheit lag, dass ich nicht so groß war wie sie, wissen bis heute die wenigsten.
Als Jugendliche hat mich das Erwachsenwerden verunsichert und ich hab versucht mit rigidem Essverhalten Kontrolle über das Chaos in mir zu bekommen und du musstest jahrelang mit starkem Mangel täglich extreme Leistung bringen – kognitiv und körperlich. Du zeigest mit unbändigem Hunger, dass dir was fehlt und wenn ich die Kontrolle verlor, konnte ich das aus Scham und Versagensangst nicht aushalten und machte es wieder rückgängig. Dass damit ein zerstörerischer Kreislauf begann, der über 7 Jahre andauerte. war mir damals noch nicht bewusst. Doch du hast wieder so eine Stärke gezeigt und hast dich immer wieder regeneriert, warst jeden morgen bereit für einen neuen Tag. Danke dafür.
Zeichen der Heilung
Du stelltest unsere Fruchtbarkeit die gesamten 7 Jahre ein, was ich kaum beachtete, weil ich den Kontakt zu dir komplett verloren hatte. Die Wunden, die ich dir vor lauter innerem Schmerz zufügte, heilten mit der Zeit wieder und die Linien erzählen bis heute Geschichten, an die ich ungern zurückdenke, die aber dennoch ein Teil von mir sind.
Als du mir wieder vertrauen konntest dich regelmäßig und nährstoffreich zu versorgen, kam meine Regel zurück und ich freute mich so sehr dies als Zeichen der Heilung zu sehen.
Wir sind durch die Welt gereist, haben Stürme überstanden, Berge erklommen, wir sind im Regen getanzt, haben im tiefsten Wald Gott angeschrien, sind nachts durch glitzernde Meereswellen getaucht und haben an den unmöglichsten Orten geschlafen.
Danke, dass du mir immer so viele intensive Eindrücke durch die Sinne geschenkt hast. Wir konnten sowohl zärtliche Nähe mit geliebten Menschen austauschen, als auch plötzliche, körperliche Übergriffe abwehren. Da hast du wieder unbändigen Mut und Stärke gezeigt, und wie oft ich unterschätzt werde, weil du so klein und zart bist.
Ein sicheres Zuhause – nicht nur für mich
Doch du bist ein sicheres Zuhause für meine Seele und du hast meine beiden wunderbaren Töchter mit auf diese Welt begleitet. Du hast auch ihnen eine zeitlang ein sicheres Zuhause gegeben, hast sie durch Gottes Zauber im Verborgenen geformt, genährt, gestärkt für die Welt, die auf sie gewartet hat. Danke, dass du mir ermöglicht hast, dieses Wunder zu erleben.
Du hast bei der ersten Geburt wieder einmal gezeigt, was für eine Löwinnenkraft in dir steckt. Du wusstest, was zu tun ist und du hast deinen Teil in diesem Wunder so wunderbar gemacht. Du hast dich so schnell wieder erholt und konntest diesen kleinen, neuen Menschen komplett ernähren.
Als uns etwas mehr als ein Jahr später die zweite Schwangerschaft überraschte, ließt du auch da ein kleines Herz in deiner Mitte heranwachsen, welches jedoch in der 12. Woche plötzlich aufhörte zu schlagen. Auch da ließt du mir genug Zeit um Abschied zu nehmen und dann ließt du ganz von alleine los in einer sehr schmerzhaften Nacht, für die ich aber so dankbar war, weil überhaupt kein Eingriff von außen nötig war.
Danke, für deine Weisheit und dein Timing. Über ein Jahr danach schlug wieder ein Herz in dir und ich konnte dir wieder vollkommen vertrauen, es auf diese Welt zu bringen. Das Ende der Schwangerschaft kam früher und ganz anders als gedacht, doch du hast auch da so eine Kraft gezeigt. Du standest unter Schock, aber du konntest sie trotzdem sofort mit Milch versorgen. Wir ruhten uns sehr lange aus und du halfst mir das Leben als zweifache Mutter voll Ruhe und Leichtigkeit zu starten. Danke für alles, was ich in dieser Zeit lernen durfte.
„Durch alle Höhen und Tiefen“
Als ich nach einem Jahr wieder in einem sehr herausfordernden Job arbeiten ging und zugleich eine aufwühlende Therapie begann, zeigtest du mit wieder mit Stresssymptomen unseres Nervensystems, dass ich viele Gefühle verdrängt habe. Dass ich meine Prioritäten weise setzen soll und dass ich innerlich immer noch in einem Überlebensmodus stecke.
Jetzt bin ich an dem Punkt mit dir achtsam umzugehen, dir zuzuhören und deine Signale ernst zu nehmen, das zentrale Nervensystem, sowie das hochempfindlich und hochkomplexe Hormonsystem zu regulieren. Deshalb schreibe ich dir, denn ich sehe dich jetzt nach 31 Jahren wirklich mit einem Blick voll Liebe, Hochachtung und Dankbarkeit.
Danke, dass du durch alle Höhen und Tiefen bisher so treu und stark warst und ich freue mich auf die kommenden Jahre, in denen wir noch bewusster zusammenarbeiten werden und Gottes Licht gemeinsam auf dieser Welt sichtbar machen werden.
„Danke, dass du alles zum Guten wendest.“
Und danke Gott, denn ohne Dich wäre all dies oben genannte nie möglich gewesen. Du bist der Klebstoff, der meine Zellen zusammenhält und der, der mich in der dunkelsten Zeit innerlich getragen hat. Mein Körper erzählt eine Geschichte, aber du hast sie geschrieben. Danke, dass du alles zum Guten wendest.
“Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.” – Psalm 139, 14
Claire
Frage:
- Was würdest du gerne mal deinem Körper sagen/schreiben?
- Wofür bist du dankbar? Was habt ihr gemeinsam durchgestanden?
- Wie siehst du deinen Körper heute?
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