Diese „Vom Wilden Herzen einer Frau“ Kolumnen sind mittlerweile die, die am längsten auf dieser Website veröffentlicht werden. Richtiges Urgestein. Wenn ich ein Thema anfange, frage ich mich deshalb oft, ob ich schonmal davon geschrieben habe, weil es sich manchmal so anfühlt. Aber statt alle alten Kolumnen zu durchforsten und das auszuschließen, schreibe ich dann trotzdem, weil ich weiß, Wort für Wort werde ich mich nicht wiederholen und sich der Prozess, in dem ich gerade bin, immer von Tag zu Tag wandelt. Mit großen und kleinen Sprüngen, mit Stagnation und dann wieder mit einer Lawine an Erkenntnissen und Veränderungen. Deshalb ist es sogar spannend mehrfach über ein ähnliche Schema zu schreiben – weil es zeigt, was in den Monaten oder Jahren dazwischen passiert ist. Und das ist viel. Eines dieser Themen ist Authentizität.
„Nicht verletzlich, aber auch nicht authentisch“
Ich hab schon immer damit gekämpft authentisch zu sein, weil ich mir nicht sicher war, ob mein wahrer Kern wirklich so angenommen wird, wie er ist und ob ich wirklich gut bin, hinter meiner ruhigen, angepassten Fassade – auch wenn mir unzählige Male nach dem Gegenteil zumute gewesen wäre. Ich hab eine utopische Variante meines Selbst angebaut, die nicht verletzlich ist, aber auch nicht authentisch. Die Angst eine Last zu sein war bisher immer größer, als die Sehnsucht, vollkommen frei und authentisch, ich selbst zu sein. Das verändert sich allerdings gerade. Und es ist echt herausfordernd.
Mit Liebe und Wahrheit gefüllt
Wenn ich über die letzten Monate nachdenke, gab es so viele Situationen in denen genau diese Angst herausgefordert wurde. Situationen, in denen ich wirklich bei anderen Ärger und Aufwand verursachte. Situationen, in denen ich andere belastete, sie enttäuschte, sie verwirrte, vor den Kopf stieß. Situationen, in denen ich beruflich Grenzen zog, die mein ganzes Team beeinflusste.
Wenn sich solche Dinge häufen, ist das immer ein eindeutiges Zeichen, dass Gott dran ist diese Sache in meinem Leben ans Licht zu holen um es zu heilen. Nicht um es auszumerzen, wie ich es gerne manchmal gehabt hätte. Nein. Sondern um es mit Liebe und Wahrheit zu füllen.
Am eindrücklichsten in diesem Prozess war für mich dieses Wochenende. Eine sehr gute Freundin hat mich besucht, um als Patentante für meine kleine Tochter bei deren Einsegnung dabei zu sein. Ich freute mich schon wochenlang auf ihren Besuch, weil wir uns nur ein- bis zweimal im Jahr sehen und sie seit unseren Teenager-Jahren ein ganz naher Herzensmensch von mir ist. Ich würde sagen, dass sie eine der wenigen Personen ist, vor der ich vollkommen authentisch sein kann, ohne Angst verurteilt oder verlassen zu werden. Doch dieses Wochenende hat mir gezeigt, was es wirklich bedeutet authentisch zu sein.
Das Dunkle
Mir ging es in der letzten Zeit nicht gut. Aber ich rede nicht wirklich darüber. Zuhause wird es ab und zu sichtbar, wenn von meinen zwei Kleinkindern, endlosem Haushalt und meinem Ehemann zu viel auf einmal von mir verlangt wird – insbesondere nach einem langen, herausfordernden Arbeitstag als Sozialarbeiterin mit Klienten, denen es auch allen nicht gut geht.
Doch neben meiner engsten Familie kennt keiner wirklich das Dunkle in mir, das Hoffnungslose, Verletzte. Weil ich schon als Kind gelernt habe keine Last zu sein, alles mit mir allein zu regeln und nichts nach außen sichtbar werden zu lassen.
Das hat sich dieses Wochenende geändert. Es gab so oft Momente, wo es herausgebrochen ist, dass es mir nicht gut ging und ich einfach nicht mehr konnte. Es fühlte sich an, wie ein Sog nach unten in die Dunkelheit meiner Gedanken. Ich merkte es sehr deutlich, aber konnte mich nicht selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen. Ich entschuldigte mich die ganze Zeit dafür und fühlte mich schrecklich, weil ich die Besuche meiner wundervollen Freundin sonst immer so genieße und wir so schöne Dinge gemeinsam machen: die Schönheit um uns rum sehen und fühlen, gemeinsam beten, weinen, lachen, Kunst machen und bis in die Nacht reden.
Deshalb war es dieses Mal so schlimm für mich, so vieles davon nicht zu schaffen. Ich verhielt mich abweisend und teilweise sogar unfreundlich, blickte oft an ihr vorbei, hatte kaum Elan wirklich etwas zu machen, hatte kein Appetit und keine Lust gemeinsam zu essen. Wenn wir redeten, dann gefühlt nur über Belastendes und ich konnte ihr kaum Fragen stellen. Doch was mir heute, als sie wegfuhr, auffiel, war, dass auch das „authentisch sein“ bedeutet und ich das zum ersten Mal in in einer Freundschaft vollkommen ungeschönt zeigen konnte. Es ging mir nicht gut und sie hat es gesehen. Sie hat das Dunkle in mir gesehen.
Wenn ich alle Anteile meiner selbst heilen möchte, müssen sie ans Licht kommen. Und das Leben geht ja trotzdem weiter. Ich kann nicht mehr auf Pause drücken, wenn ich mal Besuch habe und erst dann wieder mit der Inneren Kind- und Schattenarbeit weitermachen, wenn der Besuch weg ist.
Was ich gerade lerne, ist keines meiner Anteile, auch nicht die finsteren, abzulehnen, zu verstecken, zu verurteilen.
„Denn ich durfte erfahren inmitten meiner sichtbaren Dunkelheit geliebt zu werden.“
Was mich total berührt hat, war, dass inmitten meines abwesenden und zum Teil abweisenden Verhaltens gegenüber meiner Freundin, immer wieder ihre Liebe sichtbar wurde. Durch spontane Umarmungen, durch liebevoll wertschätzende Worte, durch ein Gebet, durch ihre Aufmerksamkeit. Ich konnte es in den Momenten nicht wirklich annehmen, doch es bewirkte trotzdem etwas unfassbar Bedeutendes in mir. Denn ich durfte erfahren inmitten meiner sichtbaren Dunkelheit geliebt zu werden.
Das ist genau das, was Jesus für uns tut und es ist das, was Menschen oft so schwer fällt. Die meisten ziehen sich verständlicherweise aus Selbstschutz zurück, wenn sie patzig oder abweisend behandelt werden. Doch in den meisten Fällen braucht die Person, die sich so unfreundlich verhält, das Gegenteil. Das durfte ich erleben und ich merke wie sich dadurch etwas in mir gelöst hat und ich auch das Dunkle in mir ansehen, annehmen und eines Tages sogar lieben möchte. Ich begreife jetzt viel klarer, was Jesus schon von Anbeginn der Zeit für uns getan hat, weil ich eine wahre Freundin mit ihrer alle-schatten-durchdringenden-jesusähnlichen-Liebe erleben durfte und das wird mich für immer verändern.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht. – Psalm 139 11-12
Fragen:
- Was bedeutet es für dich authentisch zu sein?
- Kannst du in deinem Umfeld authentisch sein?
- Wer kennt deine dunklen Facetten und liebt dich dennoch?
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