Als ich meine erstes Kind erwartete, war ich mir ganz sicher intuitiv zu wissen, wie das so geht. Das Muttersein. Ich hatte ich keinerlei Interesse an Erziehungsratgebern oder ähnlichem.
Das Erste Babyjahr war auch sehr schön und intuitiv geleitet. Das Stillen nach Bedarf klappte wunderbar, ich habe ausschließlich getragen, sie schlief jede Nacht ganz nah an mich gekuschelt.
Dann fing ich wieder an zu arbeiten, meine Tochter war etwas über ein Jahr alt, und es begann langsam anstrengender zu werden. Sie weigerte sich plötzlich Dinge anzuziehen, die ich ihr raussuchte oder neue Schuhe anzuprobieren. Sie entdeckte ihr Nein und nutzte es auch.
Zugleich löste mein Job Stress in mir aus, weil ich dort allen beweisen wollte, dass ich das kann: ein Job für den ich nicht passend ausgebildet war, der mich mental sehr herausforderte und das über 30 Stunden die Woche.

Mein Stolz musste einknicken

Als dieser neue Stressfaktor also in unsere Leben kam und bei unserer Tochter die „Trotzphase“ begann, stand ich eines Tages in der Kinderbibliothek und mein Auge fiel auf einen Elternratgeber: „Erziehen ohne Schreien.“ Mein Stolz „keine Erziehungsratgeber zu brauchen“ knickte ein, denn zugleich kamen jüngste Erinnerungen auf, wie ich tatsächlich zum allerersten Mal meine Tochter anschrie, weil ihr Verhalten eine tiefe Wut in mir auslöste, die ich so bisher von mir nicht kannte. (Auf das Thema Mama-Wut gehe ich in der nächsten Kolumne ein, weil es ein so wichtig und leider oft tabuisiertes und verschwiegenes Thema ist, aber damit ist KEINE Mama allein).
Also nahm ich es mit und konnte so viel wertvolles Wissen daraus ziehen. Danach war ich mir sicher, dass es wirklich sinnvoll sein kann, sich mit Expertenmeinungen und Forschungsergebnissen auseinander zusetzen. Ich las viele Blogs, begann Instagram-Kanälen zu folgen, schaute Videos auf YouTube, lieh noch mehr Bücher aus und kaufte sogar ein paar. Ich hörte Hörbücher und Podcasts. Vieles konnte ich in unsren Alltag integrieren, es hat mich in dem bestärkt, was ich intuitiv schon praktizierte und woran ich glaubte und zugleich meinen Horizont enorm erweitert und mir die Augen geöffnet.

Geprägt durch Kindheitswunden

Ich merkte, wie ich eben nicht intuitiv alles richtig gemacht habe. Was ich zum Beispiel oft gemacht habe, als meine Tochter anfing ihre Autonomie zu entwickeln, war ihr nachzugeben, ihr alles Recht zu machen, ihr jeden möglichen Wunsch zu erfüllen. Ich steckte noch total in diesem Babyjahr, indem es total um schnell und passende Bedürfnisbefriedigung ging. Wenn das Kind jedoch älter wird, sind die Bedürfnisse auch komplexer, machmal wirken sie absurd und unverständlich.
Hinter jedem Handeln steckt zwar weiterhin ein Bedürfnis, aber ist nicht mehr so leicht es zu erkennen und wenn man es den ganzen Tag dem Kind nur recht machen will, ist das für beide – das Kind und die Mutter – fatal. Intuitiv wollte ich sie immer glücklich machen und jeden Frust von ihr fern halten. Ich wollte sie ständig loben, wenn sie etwas machte und ihr jeden Wunsch erfüllen.

Was ich jetzt so langsam begreife ist, dass ich ganz tief den Drang habe alle, zufrieden zu stellen, es jedem Recht zu machen, bloß Keinem zum Ärgernis oder zur Last du werden. Auch meinen Kindern wollte ich alles recht machen und bin so in eine aufopfernde, hingebungsvolle, aber frustrierte und müde Mutterrolle gerutscht, die wirklich nicht gut war – weder für mich, noch für meine Kinder. Mir ist dadurch einfach klar geworden, dass mein „intuitives“ Handeln von einer tiefen Kindheitswunde herrührte – nämlich meinen Eltern alles recht zu machen, um Strafe und emotionalen Rückzug zu vermeiden. Jetzt erst bin ich an dem Punkt, diese Wunden in mir zu heilen und gehe Erziehung jetzt anders an als noch for wenigen Jahren.

„Nur wenn die Mutter selbst psychisch gesund ist.“

Das intuitive Muttersein ist nach wie vor etwas, woran ich von ganzem Herzen glaube und ich weiß, das erste Jahr mit meiner Tochter war genau richtig für unsere Beziehung und mein Einstieg in dieses Abenteuer Mutterschaft. Doch was mir jetzt rückblickend auffällt, ist, dass intuitive Mutterschaft über die Gesamtheit der Kindheitsbegleitung nur dann wirklich gut funktioniert, wenn die Mutter selbst psychisch gesund und stabil ist. Sonst handelt man so schnell unbewusst auf Basis von Glaubenssätzen, inneren Blockaden, Wunden, ungeheilten Kindheitstraumata usw.

Alltag, der Tiefe wunden hinterlässt

Auch wenn man meint intuitiv zu handeln, heißt das dann nicht, dass es richtig ist. Es gibt so viele Eltern, die sich so sicher sind genau richtig zu handeln, wenn ein Kind „trotzt“ – doch im Grunde handeln sie wie es ihnen selbst and Kind beigebracht wurde: „Geh in dein Zimmer!“ wenn sie große Gefühle haben, „Alles gut, ist nichts passiert“ wenn sie hinfallen und weinen, „brauchst keine Angst haben“ wenn sie voller Panik sind, „dann geh ich halt ohne dich“ wenn sie ihr Spiel gerade nicht zurücklassen wollen.

Dies sind nur winzige Beispiele, die für viele Familien Alltag sind, aber dennoch tiefe Wunden hinterlassen können. Denn das Kind wird in der Realität seiner Emotion und dem was es erlebt nicht gesehen und mit Respekt behandelt. Wenn es ausrastet ist es wirklich in Not, es braucht Verbindung, jemanden der da ist und es begleitet. Wenn es hinfällt, braucht es jemand der es hält und sagt: „Oh mein Schatz, das tut weh, das glaub ich dir, du bist gefallen, das hab ich gesehen. Ich hab dich.“ Wenn es Angst hat, braucht es beispielsweise ein: „Oh, du hast wirklich große Angst davor stimmt’s? Wenn du soweit bist, wirst du spüren, dass dein Mut größer ist als deine Angst und dann schaffst du’s. Ich werde dich bejubeln und bin so oder so stolz auf dich, denn Angst zuzugeben kostet am allermeisten Mut.“

Kinder brauchen..

Ich könnte jetzt noch endlos viele Beispiele zufügen, aber ich denke der Punkt ist klar geworden:

Kinder brauchen Verbindung, Nähe, Einfühlung. Sie wollen gesehen, gehört, erstgenommen und respektiert werden. Doch um Kinder intuitiv begleiten zu können, muss man sich zuallererst mit seiner eigenen Kindheit, Verletzungen, Glaubenssätzen, usw auseinandersetzen und so weit es möglich ist, Heilung finden, wo etwas noch unbehandelt ist. Denn aus einer Wunde oder einem Trauma heraus kann man unmöglich intuitiv alles richtig machen. Und weil keiner von uns komplett unverwundet durch unsere Kindheit gegangen ist, macht sowieso keiner intuitiv alles richtig. Also finde ich, sollte es die Norm werden, sich mit seiner Geschichte & seiner (frühen) Kindheit vor oder zu Beginn der Mutterschaft (am Besten in Begleitung einer Therapie oder Seelsorge) auseinanderzusetzen, auch wenn es dafür nie zu spät ist. Trotzdem: je früher, desto besser.

Fragen:

  • Wie gehst du mit Herausforderungen als Mutter um?
  • Was bedeutet es für dich intuitiv Mutter zu sein?
  • Siehst du bei dir einen Zusammenhang von Kindheitswunden und deinem heutigen Erziehungsstil?