Das Thema „Scham überwinden“ zieht sich bei mir weiterhin durch das Jahr und ein für mich sehr schambesetztes Thema, das schon länger auf meiner Agenda für eine Kolumne stand, ist Wut.
Schambesetzt ist es für mich deshalb, weil ich schon mehrere Jahre, aber vermehrt in den letzen Monaten, immer wieder mit Wutausbrüchen zu tun habe. Sie kommen manchmal ganz unvermittelt, ich werde dann oft durch einen Kommentar von Sascha zur Weißglut gebracht und dann sehe ich nur noch rot. Es war und ist dann wahnsinnig schwer für mich diese Wut im Griff zu halten und das schaffe ich auch nicht immer. Wut war für mich deshalb immer etwas Schlechtes, wie ein inneres Monster, das meistens schlummert und manchmal ausbricht, wütet und dann wieder verschwindet. Ich fühlte mich immer sehr schlecht, wenn ich die Wut nicht unterdrücken konnte und verstand oft nicht, woher sie denn überhaupt kommt.

Als ich 14 oder 15 war, kaufte ich mir ein Boxsack, weil ich keine (weiteren) Gegenstände zerstören wollte. Gerade unter Christen, wo wir doch alle so friedliebend miteinander umgehen (sollten), ist oft kein Raum für Wut. Man hat einfach sanftmütig zu sein, fertig. Aber was ist, wenn ich ab und zu eben nicht sanftmütig bin? Bin ich gleich ein böser Mensch, wenn ich mal die Fassung verliere? Die meisten würden hier sagen, „natürlich nicht, das kommt vor“. Aber was ist, wenn ich sie gegen meinen Partner richte und ihm damit weh tue? Ich muss sagen, dass ich mich dann, wenn meine geliebtesten Menschen unter meinem Verhalten leiden müssen, ganz besonders schlecht fühle und mich umso mehr dafür schäme. Ich versuche dann die Wut ganz tief in mir zu verbarrikadieren, aber das macht sie nicht kleiner – im Gegenteil. Ich habe mir angewöhnt die Wut gegen mich selbst umzuleiten und verletze mich dabei. Wut scheint also durchweg als etwas Schlechtes, was einfach aus dem Leben verschwinden sollte.

Wut ist jedoch per se nicht schlimm, in Johannes 2, 14-17 war Jesus selbst offensichtlich sehr, SEHR wütend auf die Händler im Tempel. Er hat seines Vater Tempel verteidigt und war in dem Moment alles andere als der fromme, sanftmütige Jesus, der so oft porträtiert wird. Er war wild und ungehalten, wie ein Löwe. Er setzte seine Wut für das Gute ein, etwas um das es sich zu kämpfen lohnte.

Im Vorhof des Tempels stieß er auf die Händler, die ihre Rinder, Schafe und Tauben zum Verkauf anboten, und auf die Geldwechsler, die an ihren Tischen saßen.
Da machte er sich aus Stricken eine Peitsche und trieb sie alle mit ihren Schafen und Rindern aus dem Tempelbezirk hinaus. Er schüttete das Geld der Wechsler auf den Boden und stieß ihre Tische um, und den Taubenverkäufern befahl er: »Schafft das alles weg! Macht aus dem Haus meines Vaters kein Kaufhaus!« Seine Jünger erinnerten sich dabei an die Schriftstelle: »Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren.«

– Johannes 2, 14-17 (NGÜ)

Wut hat viel mit Grenzen zu tun. Die Händler im Tempel haben eine für Jesus sehr wichtige Grenze überschritten und er setzte diese Grenze ganz klar und mit ganz viel zielgerichteter Energie.

Ein guter Freund von mir, der auch Therapeut ist, sagte mir letztens als ich ihm von diesem Wut-Thema erzählte, dass Wut eine Energie ist, die durchaus fruchtbar und wichtig ist. Oft ist es jedoch fehlgeleitete Energie, die eigentlich dazu da ist, unsere eigenen Grenzen zu setzen. Er fragte mich, ob ich Schwierigkeiten habe „nein“ zu sagen und so ist es tatsächlich. Der Zusammenhang von eigenen Grenzen und Wut hat für mich alles in eine neue Perspektive gerückt. Mir fiel plötzlich auf, dass ich öfter Wutausbrüche hatte, wenn ich es vielen Leuten zugleich versucht hatte, Recht zu machen und mich dabei verausgabt und verzettelt habe. Das kommt immer wieder in meinem privaten und auch beruflichem Umfeld vor. Leute zu enttäuschen macht mir unfassbare Angst, deshalb gehe ich weit über meine Grenzen hinaus, um das zu vermeiden. Wenn es sich mit der Zeit ansammelt, reicht eine Kleinigkeit aus, um mich zum Explodieren zu bringen. All die Energie, die ich für meine Grenzsetzung benötigt hatte, jedoch zurückgehalten habe, kommt dann mit einem Mal raus und lässt sich kaum aufhalten.

Mit dieser Erkenntnis gehe ich nun ganz anders an das Thema heran. Statt die Wut stillzuhalten, zu verbuddeln oder mühsam ausmerzen, setze ich nun ganz bewusst meine eigenen Grenzen. Ich nehme mir vor „nein“ zu sagen, wenn ich etwas nicht möchte und klar zu meinen Bedürfnissen und Fähigkeiten zu stehen. Das wird sicherlich nicht einfach, aber ich glaube fest daran, dass die Wutausbrüche mit der Zeit von sich aus weniger werden, da ich zu meinen Grenzen stehen kann und mich selbst so sehr liebe und wertschätze, dass ich mich nicht mehr verausgabe, um es allen Recht zu machen.

  1. Wie geht es dir mit dem Thema Wut?
  2. Kannst du deine eigenen Grenzen setzen?
  3. Was macht es mit dir, wenn deine Grenzen überschritten werden?