Seit Anfang des Jahres habe ich eine neue Arbeitsstelle, in einem mir bisher unbekannten Feld. Ich hatte im Vorfeld keine Ahnung, was mich wirklich erwartet; ob ich dem gewachsen sein werde, ob meine Qualifizierung ausreicht und so weiter. Aber ich hatte immer schon die Herangehensweise mich in neues, unbekanntes Gewässer zu stürzen und mich dort in den neuen Bedingungen zurecht zu finden. An sich traue ich mir da auch vieles zu, aber die unterliegende Angst, nicht zu genügen, kann ich trotzdem nicht abstreiten.

Ich habe jedenfalls diesen Job im Ambulant-Betreuten Wohnen angefangen und begleite und unterstütze täglich unterschiedlichste Menschen bei verschiedensten Herausforderungen.
Die ersten Wochen, während der Einarbeitung, war ich recht entspannt, ich konnte viel beobachten – was ich sowieso gerne tue – und von erfahrenen Kollegen lernen. Nach und nach wurden mir eigene Klienten zugeteilt und ich merkte, wie viel Verantwortung dieser Beruf mit sich bringt, aber ich stürzte mich, wie gesagt, in dieses unbekannte Gewässer und nahm alles, was auf mich zukam, an.

Was mir allerdings am schwersten fiel, war das Miteinander unter den Kollegen. Ich fühlte mich so unsicher ihnen gegenüber, weil ich so viel jünger bin und noch nie in diesem Bereich gearbeitet habe.

Ich habe in mir eine große Angst entdeckt. Und zwar die Angst, unterschätzt zu werden. Schon seit meiner Kindheit wollte ich nicht als klein, zart und niedlich abgestempelt werden. Ich denke aber immer, dass Menschen das automatisch tun. Ich habe daher meine eigene Unsicherheit auf harmlose Kommentare von Kollegen übertragen und sie so interpretiert, dass sie mich für unfähig, klein, unerfahren, schwach und unbeholfen halten. Das hat mich noch mehr verunsichert und mein Rückzug ins Schneckenhaus war vorprogrammiert. Immer wenn ich nach einem Klientenkontakt ins Büro kam, verschwand ich die restliche Zeit an meinen Schreibtisch, ohne mich auf Gespräche einzulassen, geschweige denn etwas zu teilen, was mich beschäftigt oder bei Unklarheiten nachzufragen. Ich versuchte alles alleine zu meistern, schließlich wollte ich allen beweisen, dass ich eben nicht schwach und unfähig bin.

Eines Tages saß ich mit einem Klienten über einem Berg Papierkram von verschiedenen Behörden und mir fiel auf, dass ich nicht wusste, wie ich ihm weiterhelfen soll. Ich versuchte alle Anträge mit ihm auszufüllen, aber stockte bei jedem zweiten Punkt. Schließlich sagte ich einfach, dass ich bis zum nächsten Mal mit meinen Kollegen sprechen werde und selbst einige Antworten und Unterstützung brauche. Das war das erste Mal in dem Beruf, dass ich offen zeigte, dass ich nicht weiter wusste und in dem Moment habe ich tatsächlich in Betracht gezogen, meine Kollegen zu fragen, statt Google. Der Klient reagierte überhaupt nicht negativ und hatte vollstes Verständnis. Er wollte nicht direkt zu einem fähigeren Sozialarbeiter wechseln und hielt mir auch keine Rede über ‚fehlende Fähigkeiten ihm effektive Hilfe zu leisten‘. All diese Befürchtungen blieben aus und er war einfach dankbar, dass er damit nicht alleine zu kämpfen hatte und vertraute mir weiterhin darin, eine Lösung zu finden. Das war wie ein Befreiungsschlag.

Am selben Tag sprach mich ein Kollege an, wie es mir zur Zeit geht, ob ich mich wohlfühle.
Zuerst war ich ganz verwirrt was er von mir will, aber mir wurde schnell klar, dass er auch gemerkt hatte, wie ich für mich im Stillen gearbeitet hatte und keiner im Team so richtig wusste, woran ich gerade arbeite und wie es mir damit ging. Mir wurde erneut klar, wie schwer es mir fällt, um Hilfe zu bitten und dass ich daher vieles für mich behalte. Er beteuerte, dass Teamarbeit in diesem Beruf essentiell sei und ermutigte mich dazu, jedes Mal, wenn ich ins Büro komme, mindestens eine Sache, die mich gerade stört, freut, aufregt, überfordert oder nervt, einfach mit jemandem zu teilen – auch ungefragt.

Ich musste lachen, weil genau das für mich besonders schwer ist: Ungefragt zu erzählen. Ich ließ mich aber darauf ein und dieser Tag war wie ein Wendepunkt. Seither bin ich viel befreiter im Umgang mit Kollegen. Ich merke, dass sie für mich sind und mir helfen wollen, sehe ihre eigenen Unsicherheiten und vor allem, dass jeder einst angefangen hat und viele Fragen hatte. Doch nur wenn wir unsere Fragen stellen, bekommen wir auch Antworten darauf und kommen weiter.
Ich darf zeigen, dass ich noch nicht alles kann und weiß, denn das erwartet niemand von mir. Als Sozialarbeiterin ist es wichtig, menschlich zu sein. Eine perfekte Fassade hilft keinem – im Gegenteil. Ich lerne mich so zu zeigen, wie ich bin, und merke, dass ich nur so wirklich frei und lebendig sein kann.

  1. Wie gehst du damit um, wenn du Hilfe brauchst?
  2. Hältst du eine Fassade aufrecht, die nicht der Realität entspricht?
  3. Was bedeutet es für dich, menschlich zu sein?