Als Eltern haben wir Verantwortung. Das ist klar. Und dessen ist man sich auch bestenfalls stets bewusst, denn nichts prägt die Psyche des Menschen mehr als die Erfahrung in den ersten Jahren des Lebens.

„Vieles falsch, aber noch viel mehr richtig gut“

Ich merke, dass sich die mütterliche Verantwortung mit der Zeit sehr wandelt. Das erste Mal hat mich das Bewusstsein über diese Verantwortung getroffen, als ich im Ultraschallbild das pochende Herzchen und die pulsierende Nabelschnur sah. Ich machte mir viel mehr Gedanken darüber, ob ich genügend Nährstoffe für mich und das Baby hatte und auch wie viel Stress und negative Gedanken ich hatte. Ich hatte Verantwortung meinen Körper als sicheren und gesunden Ort zum Wachsen und Gedeihen unseres Babies zu wahren.
Als sie dann Monate später in meinem Arm lag, war alles wieder ganz anders. Ich wollte sie stillen, sie willkommen heißen, ihr Nähe und Wärme schenken. Meine Verantwortung war es, ihr ein schönes Ankommen in der Welt zu bereiten.

Als wir von der Geburtsklinik nachhause entlassen wurden, schauten Sascha und ich uns an und meinten: „Was? Jetzt haben sie uns echt das Baby mit nachhause gegeben? Jetzt sind wir hier alleine, ohne Hilfe zuhause mit einem Baby?“ Das war noch ein Level mehr Verantwortung und so sind wir Stück für Stück gewachsen, haben scheinbar Unüberwindbares gemeistert und haben vieles falsch, aber noch viel mehr richtig gut gemacht.

„Die Erziehungsmethoden, die ich in meiner Kindheit erfahren habe, kann und will ich für meine Kinder mit Sicherheit nicht anwenden.“

Zur Zeit ist das Thema Verantwortung wieder richtig wichtig für mich geworden, denn meine Große ist noch in ihrer Autonomiephase und meine Kleine beginnt gerade erste Anzeichen zu zeigen. Verantwortung besteht jetzt nicht mehr nur darin sie zu nähren, pflegen, Geborgenheit und Nähe zu schenken, ihr einen sicheren Raum zum Erkunden zu schaffen, sondern es geht um Verhalten, Emotionen, Grenzen, Autonomie, Nähe und so vieles mehr.
Ich finde das wirklich viel, was da auf einen zukommt. Die Erziehungsmethoden, die ich in meiner Kindheit erfahren habe, kann und will ich für meine Kinder mit Sicherheit nicht anwenden und deshalb habe ich mich zunächst etwas halt- und orientierungslos gefühlt. Die Bedürfnis- und Bindungsorientierte Erziehung hat schon immer am meisten mit mir räsoniert und ich habe mir auch über die Babyzeit hinaus ganz oft zum Ziel gesetzt, die Bedürfnisse meiner Tochter erst zu nehmen, ihr zuzuhören, Respekt zu zeigen, ihren Bedürfnissen Raum zu geben, eine „Ja“-Umgebung zu schaffen, auf Augenhöhe zu ihr zu kommen. Doch was sich im Laufe der Autonomiephase immer wieder gezeigt hat, ist, dass ich den allerwichtigsten Aspekt aus den Augen verloren habe: die Verantwortung für mich selbst.

„Wenn ich als Mutter die Verantwortung nicht übernehme, bei wem liegt sie dann?“

Es gab nicht selten Situationen in denen ich alles versucht habe, um den Bedürfnissen meiner Tochter gerecht zu werden. Dass ich meine eigenen Bedürfnisse ganz hinten angestellt habe. Das hat dann hin und wieder zu großem Krach geführt, weil meine Nerven irgendwann durch waren und meine Tochter mit der Verantwortung überfordert war. Wenn ich als Mutter die Verantwortung nicht übernehme, bei wem liegt sie dann?

Wenn ich merke, dass meine Grenze erreicht sind, liegt es in meiner Verantwortung dies zu kommunizieren und meiner Tochter liebevolle Führung und Orientierung zu bieten (dies ist übrigens auch ein unfassbar wichtiges Bedürfnis). Wenn ich stattdessen ihrem Widerwillen nachgebe, z.B. wenn sie nicht von Ort X aufbrechen will, ich aber Kopfschmerzen habe und weiß, dass wir in Ruhe Abendessen und bettfertig werden wollen, ohne dass es zu spät wird.
Mein Kind weiß das nicht. Alles was sie weiß, ist, dass es jetzt gerade, wo wir sind, super schön ist und es Spaß macht. Wenn ich dann komme und diese schöne Situation beenden will, sie das verweigert und ich ihr dann nachgebe, übertrage ich die Verantwortung auf sie. Wenn sie sich dann auf dem Nachhauseweg querstellt oder die Treppen zur Wohnung nicht laufen will, ist meine Wut darüber umso größer, denn: „Ich gebe hier stundenlang nach, mache dir alles recht und du dankst es mir jetzt mit so einem Theater?“ Das sage ich ihr so natürlich nicht, aber genau das habe ich schon so oft gedacht und non-verbal geäußert.

Kinder spüren das ganz genau und das ist ein so unfairer Gedanke ihr gegenüber. Sie reagiert auf die Umstände tatsächlich angemessen. Sie kooperiert in dem Moment nicht mit mir, aber mit ihrem Inneren. Ihr Nervensystem ist durch verschiedene Auslöser in Not geraten, wie Hunger, Müdigkeit, erhöhtes Nähebedürfnis, aber eben auch die Verantwortung, die ich ihr übertragen habe und die Schuld, die ich ihr für den Stress in mir übertrage.

Das ist ein Muster, dass ich in ganz vielen Beziehungen zeige. In meiner Ehe gebe ich für ganz vieles, was nicht gut läuft, meinem Mann die Schuld – im Kleinen und Großen. Auch in meinen Freundschaften zeigt es sich, wenn ich mich darüber beschwere, dass sie sich lange nicht bei mir gemeldet haben und ich dann merke, dass ich mich selbst ja auch lange nicht gemeldet habe.

Eine neue Ebene der Verantwortung

Laut Wikipedia ist Verantwortung vorrangig die Fähigkeit, das eigene Können und die möglichen Folgen von Entscheidungen einzuschätzen und so zu handeln, dass die erwarteten Ziele mit größter Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Häufig ist damit das Bewusstsein verbunden, im Falle des Scheiterns Schuld zu tragen.

Wo ich jetzt ansetze, um in meiner Selbstverantwortung zu wachsen, ist, mein eigenes Können und die möglichen Folgen von Entscheidungen einzuschätzen, statt davor wegzurennen. Mir war lange bewusst, dass es mir an Selbstvertrauen mangelt und das zeigt sich jetzt in der Schwierigkeit genau dies zu tun. Mein Können einschätzen? Entscheidungen und ihre Folgen einschätzen? Ich merke gerade mehr denn je, dass ich Gott brauche; wie sehr mir die intensive Verbindung mit ihm in letzter Zeit gefehlt hat und ich merke auch, dass in mir etwas Neues, noch nie da gewesenes entfacht wurde. Ich bin bereit für eine neue Ebene der Verantwortung und ich bin gespannt, denn ich weiß, es wird wie jede bisher, mein Leben und mich sehr zum Positiven verändern.

Fragen:

  • Wie definierst du Verantwortung?
  • Wo fällt es dir leicht, sie zu übernehmen und wo fordert es dich heraus?
  • Was passiert, wenn du die Verantwortung für dich selbst nicht übernimmst?