Kennst du das? Das erste, was du am Tag machst, ist Musik hören, Videos schauen, telefonieren. Jede freie Minute des Tages füllst du mit Input. Du hörst spannende Inhalte, tanzt zur Musik und denkst alles ist ganz okay. Ich kann das gut. Und es passiert mir so oft. Dann kann ich tagelang von einem zum nächsten Input hüpfen und hören, lesen, schauen. Aber was ich dann nicht tue, ist innehalten. 

Damit ich mir nicht selbst begegne

Vor wenigen Wochen war ich wieder an dem Punkt, dass mir bewusst wurde, dass etwas nicht stimmt. Ich hatte wieder mal lange YouTube-Playlists am laufen und habe mich mit allem beschäftigt, nur nicht mit mir selbst. Auf „Wie geht’s dir?“, antworte ich „Gut“ oder „ganz okay“, weil ich keine Ahnung habe, wie es mir eigentlich geht. Ich will es nicht wissen.
Das läuft bei mir in Wellen und ich merke es immer erst, wenn mein Kopf fast vor Anstrengung platzt und ich wieder auf den Boden der Tatsachen falle – als Bruchlandung.
Ich bin mir des Phänomens schon sehr lange bewusst und lange dachte ich, dass ich eben die Dinge einfach zu gern tue, mit denen ich mich beschäftige.
Jetzt weiß ich: es ist ein Symptom.

Ich füttere meinen Kopf mit Inhalten, damit ich mir selbst nicht begegne. Ich werde mich ja selbst schlecht los, also kann ich nur versuchen mir aus dem Weg zu gehen. Warum sollte ich das überhaupt wollen?
Das ist die entscheidende Frage, auf die ich seit Neustem endlich eine Antwort weiß: Ich finde mich eigentlich ziemlich scheiße. Vielleicht nicht alles an mir aber Vieles, was ich in der Vergangenheit getan habe und jetzt noch tue. Ich kann es kaum ertragen, dass ich mein Studium so schleifen lassen habe. Ich kann es kaum ertragen, dass ich Menschen enttäusche. Dass ich nicht die Person bin, die ich gerne auf der anderen Seite des Spiegels hätte. 

Ich kann mir nicht vergeben. Es gibt einige große Dinge und viele Kleinigkeiten, die so sehr an mir kleben und einen Schleier über mein Spiegelbild legen, dass ich mich nicht mehr angucken will. Warum mich andere Menschen mögen? Warum Gott mich liebt? Keine Ahnung, aber Hallelujah. Das ist Gnade.
Gnade habe ich mit anderen Menschen. Mal mehr, mal weniger. Ich versuche mein Bestes. Aber ich weiß so viele Dinge, die ich richtig gegen die Wand gefahren habe, dass ich mir nicht vergeben kann. Ein Teil von mir will auch gar nicht. Warum sollte ich? 

Selbstverdammnis

Was ist die Folge davon, dass ich mir selbst nicht vergebe? Verdammnis. Selbstverdammnis. Klingt hochgestochen, ist aber umso alltäglicher und schleicht sich ein wie eine Gewohnheit. Seitdem ich den Gedankengang entlang gegangen bin, den ich hier versuche darzulegen, ist mir aufgefallen, dass ich mich oft selbst bestrafe. Nicht bewusst. Aber unbewusst mache ich mir selbst das Leben schwer und enthalte mir Dinge vor, weil ich sie nicht verdient habe. 

Manchmal ziehe ich mich aus Situationen zurück, weil ich denke, dass niemand mit mir reden will. Wie kann ich andere interessieren, wenn ich selbst mich schon blöd finde. Manchmal ziehe ich mich auch zurück, weil ich denke, dass andere ohne mich besser dran sind. Dann rede ich mir ein, dass es egal ist, ob ich da bin oder nicht.

Manchmal lege ich mir selbst ein Joch auf (ich weiß, sehr biblisch), obwohl ich nicht muss und mir es schon jemand abnehmen will, aber ich will nicht. Ich will leiden. Damit ich spüre, wie schlecht ich bin. Super dumme Gedanken und super gefährlich. Aber irgendwie dachte ich immer, dass das bei mir eben so ist und dass ich es eben nicht einfach habe. Und wenn es einfach ist, dann ist es vielleicht falsch.
Rein praktisch: Ich verharre lieber in Situationen, die mir nicht gut tun und mich auslaugen, als mich zu befreien. Warum? Weil ich es vielleicht so verdient habe. Vielleicht liegt es auch an mir, dass mir die Situationen nicht gut tun. Ich will nicht zur Last fallen, also halte ich durch. Das schaffe ich schon.

Trotzdem bin ich voller Hoffnung

Im Moment befinde ich mich an einem Scheideweg: Die eine Hälfte in mir will mich strafen, mich demütigen, weil sie mich einfach kacke findet. So richtig. Seit Neustem gibt es aber eine andere Hälfte in mir, die anders denkt. Plötzlich fallen mir Momente auf, in denen ich ungesunde Entscheidungen treffe und es tut mir leid. Ich fühle mich schlecht und schuldig, weil ich mich selbst verletzt habe. Also so doppelt. Ganz schön durcheinander. Dann habe ich gleichzeitig Mitleid mit mir selbst und hasse mich auch dafür, dass ich mir das alles freiwillig antue.
Ihr merkt schon. Ziemlich verknotet und hin und her. Im Moment fühle ich alles gleichzeitig. Hass, Mitleid, Unsicherheit, Freude, Trauer. Ich trauere um die Seiten von mir, die ich abgeschnitten habe, weil ich sie nicht wertgeschätzt habe und entdecke sie gleichzeitig aufs Neue.
Aufbruch, Stillstand, Reflexion – das alles passiert parallel und durcheinander. 

Trotzdem bin ich voller Hoffnung. Wenn Jesus mir schon vergeben will, dann kann er mir auch helfen, dass ich mir selbst vergebe. Und das bete ich jetzt. Mir wird immer mehr bewusst, wo ich Entscheidungen treffe, um mir selbst zu schaden – weil ich es nicht anders verdient habe.
Und dann habe ich die Wahl: Sehe ich mich mit meinen Augen oder mit Gottes Augen. Und immer öfter entscheide ich mich für Letzteres. Ich bin dankbar, dass Gott mir gleichzeitig Türen schließt und neue öffnet, da, wo ich wie vor Mauern stehe, wenn ich es alleine versuche.
Ich entdecke immer wieder alte Seiten von mir, die ich in eine Kiste irgendwo in die Ecke gestellt habe, weil sie nicht in mein konstruiertes Bild von mir gepasst haben. Dann mache ich sie auf und versuche neue/alte Seiten zu integrieren in ein echteres Bild von mir. 

Ich glaube, dass es noch lange dauern wird, bis meine Schuldgefühle verschwinden. Vielleicht tun sie das nie ganz. Aber Gott trocknet meine Tränen oder weint mit mir. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Das tut weh, weil ich nichts lieber wollen würde. Andererseits bin ich, wer ich heute bin, wegen meiner Vergangenheit. Jeder Fehltritt hat mich ja auch lernen lassen.
Am Ende kann ich nicht viel machen. Ich kann umkehren, Gott suchen, um seinen Blick bitten und lernen mich selbst mit all meinen Fehlern abzunehmen und zu verstehen, dass ich geliebt bin. Ich werde wieder Fehler machen. Ich werde wieder Schuldgefühle haben und mich vielleicht auch verurteilen aber ich hoffe, dass ich Stück für Stück verstehen kann, dass das nichts an meinem Wesen ändert und ich dennoch all die guten Dinge bin, die Gott über mich sagt. Wunderbar gemacht. Sein Ebenbild. Geliebtes Kind. Rein gewaschen. Gerecht gemacht. Erlöst. Kostbar..