Arbeitsbedingt habe ich mich in den letzten Wochen mit dem Thema Gerechtigkeit auseinandergesetzt. Ein Wert, der mir schon immer viel bedeutet hat. Nichts trifft oder provoziert mich mehr als Situationen, in denen jemand ungerecht behandelt wird.

Kinder als Vorbild

Ich begann darüber nachzudenken, wie ich in meinem Alltag mit Armut umgehe. Zum Beispiel mit Menschen, die in der Fußgängerzone betteln. Dabei ist mir aufgefallen, dass es einen großen Unterschied macht, ob ich allein oder gemeinsam mit meinem Sohn unterwegs bin. Ohne ihn bin ich meistens in Eile, weil ich mir mal wieder zu viel vorgenommen habe.

Mein 7-Jähriger dagegen hat alle Zeit der Welt. Wenn wir zusammen durch die Stadt gehen, bleibt er grundsätzlich bei jedem Straßenmusiker oder Bettler stehen und fragt mich, ob wir demjenigen etwas Geld geben können. Es fasziniert mich, wie seine Aufmerksamkeit ganz im Jetzt sein kann. Eine beneidenswerte Fähigkeit, in der Kinder grandiose Vorbilder sind. Wohingegen meine Gedanken oft schon beim nächsten Termin sind.

Eigentlich habe ich genug, um zu geben

Mir ist aufgefallen, dass ich den Augenkontakt zu diesen Menschen ganz oft vermeide. Manchmal wechsle ich sogar die Straßenseite, um der unangenehmen Situation aus dem Weg zu gehen. Vielleicht kennst du solche Momente. Ich habe mir die Frage gestellt: Warum stehe ich nicht dazu, dass ich gerade nichts geben will? Warum weiche ich aus?

Die Antwort darauf ist nicht sonderlich überraschend: Weil ich mich schäme. Denn eigentlich habe ich mehr als genug, um davon etwas zu verschenken. Wenn ich ihnen aber in die Augen sehen würde, könnte ich nicht einfach so vorbeigehen. Dann müsste ich mich mit ihnen auseinandersetzen. Ihr Schicksal ist plötzlich nicht mehr nur eines von vielen, das ich nicht ändern kann. Sondern aus dem anonymen Fremden wird eine wirkliche Person mit einer Geschichte.

Menschen begegnen wie Jesus

Ich habe mir die Challenge gesetzt, ab jetzt bewusst den Augenkontakt zu suchen. Das heißt nicht, dass ich jedes Mal etwas geben oder tun muss. Aber ich will diese Menschen wieder als Menschen sehen und nicht als Störfaktor meines Zeitplans.

Ich will lernen, mich solchen Situationen zu stellen, anstatt ihnen auszuweichen. Weil mein Jesus das auch tun würde. Er hat immer wieder die Nähe zu denen gesucht, die in der Gesellschaft nichts wert waren. Ich bin fest davon überzeugt, dass er mir in diesen Momenten zeigen wird, was derjenige wirklich braucht.

Manchmal reicht ein Lächeln und dass ich meinen Schritt verlangsame. Seitdem ich das tue, habe ich regelmäßig nette Gespräche mit einem alten Mann bei mir um die Ecke. Ich freue mich schon auf mehr davon.