Heute möchte ich in ein Thema gehen, das nicht einfach ist. Ich habe bereits über Wut bei Müttern geschrieben und möchte hier nun etwas tiefer in die Ursachen gehen. Wie kommt es überhaupt dazu, dass in uns starke Gefühle hochkochen, von denen wir nicht wussten, dass sie in uns stecken. Dies ist ein sehr wichtiger Kernsatz aus meiner Kolumne über Wut.

„Denn was Wut im Kern meist ist, ist Hilflosigkeit.“

Als ich dies verstanden habe, konnte ich viel gnädiger mit den wütenden Anteilen in mir umgehen und hinhören, was die Wut mir sagen möchte. Und es führte bei mir bisher immer zu verdrängten Kindheitswunden zurück. Deshalb habe ich auch geschrieben, dass die Wut unfassbar wichtig und hilfreich sein kann, wenn sie durch einen neugierigen und liebevollen Blick betrachtet wird, statt mit Scham und Ablehnung.

Kindheitswunden aufzudecken ist nicht so leicht, denn sie liegen ja schon einige Jahre zurück und nicht nur das, besonders emotional überfordernde Situationen werden nicht im bewussten Teil des Gehirns gespeichert, sondern im Unbewussten. Wir erinnern uns also möglicherweise nicht konkret daran, können es gar nicht klar benennen, aber es beeinflusst uns dennoch ständig, weil unser Nervensystem auf Hochspannung ist. Der Überlebensmodus wird aktiviert und unser Körper signalisiert Gefahr, auch wenn objektiv keine besteht.

Die eigene Kindheit

Ich habe mich vor einigen Jahren auf die intensive Reise begeben tiefer zu gehen und an die Wurzeln meiner Glaubenssätze und Verhaltensweisen zu kommen und das während ich selbst zwei kleine Kinder habe. Das ist eine Sache, die ich sehr am Muttersein unterschätzt habe: Wie sehr eigene Kinder das innere Kind in einem hervorbringen können.

Wenn man selbst mit der Aufgabe konfrontiert ist Kinder großzuziehen, kommt man kaum drumherum sich mit seiner eigenen Erziehung auseinanderzusetzen. Das kam bei mir schon mit der ersten Schwangerschaft, ganz von alleine. Es war keine bewusste Entscheidung – ich wusste nicht nicht einmal, dass ich schwanger war.
Plötzlich hatte ich Flashbacks von Ereignissen, über die ich seit vielen Jahren kein einziges Mal nachdachte. Ich unterhielt mich mit meiner Schwester über unsere Kindheit und ich wurde von extremen Emotionen regelrecht überrollt. Ich hatte das dringende Bedürfnis meine Eltern persönlich während der Schwangerschaft zu besuchen und Dinge, die mich beschäftigten, persönlich zu bereden und loszulassen – doch das klappte nicht so gut, ich zog mich leider stattdessen sehr in mir zurück, wollte keinem zu nahe treten und das „Ehre deine Mutter und Vater“ Prinzip hat mich davon abgehalten ihnen „Vorwürfe“ zu machen. Ich sah es eher als mein Problem, das ich für mich bearbeiten musste.

Das tat ich dann auch. Während meiner zweiten Schwangerschaft kam nämlich wieder viel auf und ich begann eine seelsorgerische Beratung und später eine Therapie. Meine Motivation dafür waren vor allem meine Töchter. Ihnen wollte ich als gutes Vorbild vorangehen, nicht mit verdrängten Wunden durch das Leben zu gehen und im Überlebensmodus festzustecken. Die enorme Verantwortung, die ich als Mutter trage, hat mich dazu gebracht, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen und aus der ewigen Opferrolle zu kommen. Mutig dem Schmerz in die Augen zu blicken.

„People-pleasing“ wurde zu „parenting-pleasing“

In mir war jahrelang ein verängstigtes Kind hinter der Wut, und die Wut war versteckt hinter Menschenfurcht, anders gesagt: „people-pleasing“.
Ich habe schon immer versucht es allen recht zu machen, wollte kein Ärger und keine Last sein. Doch habe ich dafür unfassbar viel geschluckt und die Wut nach innen gerichtet. Dem Kind in mir, ging es so schlecht und wenn es mal hervorbrach und die unbändige Wut zum Vorschein kam, wurde es im Nachgang noch tiefer versteckt und die Mauern noch höher gezogen.

Natürlich, weil ich die Wut abgelehnt habe, sie hat mir Angst gemacht – als etwas Unkontrollierbares, das da irgendwo in mir ist. Doch wenn ich meinen Mut zusammen nahm und genauer hinsah, war da viel mehr etwas ganz Verletzliches und es wollte nicht an die Oberfläche kommen, weil es sich einfach nicht sicher genug fühlte, dass es wohlwollend und mit Liebe empfangen werden würde.

Doch stattdessen stellte ich meine Bedürfnisse hinten an, das „people-pleasing“ wurde zu „parenting-pleasing“ und ich machte auch meinen Kindern alles mögliche recht, damit sie nicht unzufrieden mit mir sind.
Das habe ich bei meiner ersten Tochter sehr viel durchgezogen, ohne mir dessen bewusst zu sein. Ich habe mich ganz stark nach ihr ausgerichtet, war mir sicher alles richtig und bindungsorientiert zu machen. Als dann zwei Kinder gleichzeitig etwas vor mir wollten, war ich erst einmal komplett überfordert, denn es war unmöglich sofort beide zugleich vollkommen zufrieden zu stellen. Deshalb musste ich mich zwangsläufig mit dem Thema auseinandersetzten und ich musste lernen, Menschen die ich liebe zu enttäuschen, Ärger und Frust in ihnen auszulösen, sogar manchmal abgelehnt und weggeschickt zu werden, wenn ich meine Nähe anbiete. Es war unfassbar schwer, aber so wichtig für meine Entwicklung als Person und meine Heilung. Doch im Zuge dessen kam mein inneres Kind sehr oft aus seinem Versteck, um sich zu verteidigen.

Doch mittlerweile halte ich es aus, ich spreche liebevoll mit ihr und nehme sie an. Denn ich bin sie, sie ist ich. Sie existiert nicht nur in der Vergangenheit. Sie ist lebendig und sie will geliebt werden.

Ich könnte noch ewig über dieses Thema schreiben und es ist schon mehr dazu in Planung, doch das reicht als Ansatz und als Anregung euch mit eurer Kindheit auseinanderzusetzen. Wenn ich mein inneres Kind lieben kann, Frieden mit mir selbst schließe, hilft es jeder Beziehung in meinem Leben. Aber insbesondere der Beziehung zu meinen Kindern und meinem Ehepartner. Und das ist, was zählt.

Fragen:

  • Gibt es Momente in deiner Mutterschaft, in denen du „aus deiner Haut fährst“?
  • Was löst diese Momente aus?
  • Was will dir dein inneres Kind sagen?