Ich schaue hin und wieder gerne Kurzfilme. Ich mag es, wenn man unvermittelt für ungefähr 20 Minuten in ein Geschehen hineingezogen wird, das unterschiedlichste Wirkungen hinterlassen kann.
Mit 14 Jahren habe ich „Butterfly Circus“ zum ersten Mal gesehen; ein Kurzfilm, der mich seitdem immer wieder zu Tränen rührt. Mr. Mendez, der Zirkusdirektor reist mit seinen Artisten durch’s Land und besucht auf den Wunsch des kleinen Samy einen anderen Zirkus, dessen große Attraktion eine Freakshow ist. Hier können die Besucher ungewöhnliche Menschen bestaunen: Eine bärtige Frau, siamesische Zwillinge, einen stark tätowierten Mann und eine sehr dicke Frau. Doch die Hauptattraktion verbirgt sich hinter einem Vorhang: „[…] eine Perversion der Natur, einen Mann – wenn man ihn überhaupt so nennen kann – dem Gott selbst den Rücken zugewandt hat: den gliederlosen Mann!“
Der Vorhang öffnet sich und auf dem Stuhl sitzt ein Mensch ohne Arme und ohne Beine. Ein erstauntes und mitleidiges, aber auch angewidertes und hohnvolles Raunen geht durch die Menge der Besucher. Als der Großteil die Freakshow wieder verlassen hat, geht Mr. Mendez langsam auf den Gliederlosen zu. Er nimmt seinen Hut ab, kniet sich vor ihn hin und voller Staunen sagt er zu ihm: „Du bist prachtvoll!“.

Es ist ein scharfer Kontrast, der sich hier auftut. Ein Kontrast der sich festmacht an den völlig verschiedenen Perspektiven auf den Gliederlosen.
Die meisten haben ihn als den betrachtet, den sie äußerlich sahen: Einen Mann ohne Arme und Beine; jemanden der aus eigener Kraft kaum die Möglichkeit haben wird, sein Leben zu gestalten, einen Behinderten, einen Krüppel. Mr. Mendez schafft es jedoch, mit einer anderen Perspektive auf diesen Menschen zu schauen. Er hat eine völlig andere Sicht, die nicht am Äußeren halt macht, sondern das innere Potential erkennt.
Mit dieser Sicht wird er Recht behalten. Der gliederlose Will verlässt die Freakshow und schließt sich dem „Butterfly Circus“ an, in dem er nicht länger als perverses Objekt betrachtet wird, sondern beginnt seine Fähigkeit als Artist zu entdecken..

Hübsche Geschichte. Voller Idealismus und gespickt mit dem ein oder anderen amerikanischen Klischee. Aber ich bleibe immer wieder an dieser „anderen Sicht“ von Mr. Mendez hängen, mit der er seine Mitmenschen betrachtet. Ich glaube, dass uns diese Perspektive allzu oft fehlt. Ich möchte diese Ausgabe mit einer Einladung beenden. Ich lade dich ein den Kurzfilm zu schauen. Im englischen Original hat der Kurzfilm meiner Meinung nach deutlich mehr Kraft, deshalb gibt es hier den Link zur englischen Version:

https://www.youtube.com/watch?v=p98KAEif3bI

Du kannst dir aber auch gern die deutsche Version anschauen:

Ich bin gespannt, wie der Film auf dich wirkt. Wenn du Bock hast, kannst du mich gern an deinen Eindrücken teilhaben lassen. Schreib mir einfach per Mail oder hier in die Kommentare.
Sei gesegnet.