An sich bin ich nicht so der Sommertyp. Doch jetzt, wo es langsam wieder wärmer wird und man sich innerlich auf die heiße Jahreszeit vorbereitet, kommen bei mir viele alte Erinnerungen hoch. Ich denke wieder häufiger zurück, an die Urlaube der vergangenen Jahre, die schönen Momente und das Gefühl von Freiheit.
Früher war ich im Sommer häufig mit meiner Gemeinde an der Ostsee. Alle zwei Jahre hatten wir dort eine Freizeit und auch wenn dies nun schon eine ganze Weile zurückliegt, denke ich immer noch gern an die schönen Tage, die wir dort in großer Runde gemeinsam verbrachten.
Man sagt ja immer, dass man die Vergangenheit immer mehr romantisiert, je mehr Zeit vergeht. Vielleicht ist das auch so mit meinen Gedanken an die Ostsee.. Es gibt jedoch eine Erinnerung, die sich für mich wahrscheinlich nie schön anfühlen wird. Sie ist dunkel und kalt und hat so gar nichts von der sommerlichen Atmosphäre, die ich eigentlich mit diesem Ort verbinde.
Wenn wir im Meer baden gingen, dann spielten wir Kinder meistens nur am Rand und schwammen nie weiter raus, als wir den Grund sehen konnten. Die Erwachsenen jedoch hatten meistens keine Lust auf das Geplantsche und schwammen in kleinen Gruppen bis zu einer ca. 100 Meter weit draußen gelegenen Boje. Je älter ich wurde, desto cooler fand ich diese Aktion, doch lange Zeit traute ich es mir nicht zu, weil ich Angst hatte, mir könnten die Kräfte versagen.
Eines Tages war der Moment jedoch gekommen, da ich es ausprobieren wollte und ich begann weiter als zuvor üblich auf’s offene Meer hinaus zu schwimmen. Das Wasser war ruhig und ich hatte die Boje fest im Blick. Ich wollte nicht umkehren, bevor ich sie nicht abgeklatscht hatte.
Je weiter ich mich ihr näherte, desto stärker wurde die Strömung. Es war nicht so extrem, dass ich hätte beunruhigt sein müssen. Dennoch merkte ich, wie meine anfängliche Sicherheit langsam zu bröckeln begann. Mir wurde klar, dass so weit entfernt vom Festland die Kontrolle über die Situation nicht mehr in meinen Händen lag.
Je stärker sich diese Erkenntnis in meinem Kopf breit machte, desto unsicherer fühlte ich mich. Erstaunlicherweise machte mir die Strömung in diesem Moment weniger Sorgen, als die Frage, wie tief es bis zum Grund sei und was sich nun alles unter mir im Wasser befand. In der Hoffnung, den Grund sehen zu können, eine Sandbank oder einen Felsen, der aus der Tiefe nach oben ragte, begann ich immer wieder mit dem Kopf unter Wasser zu tauchen und in die Tiefe zu spähen. Gleichzeitig wuchs mit jedem Blick in die undurchdringliche Schwärze die Furcht davor, dass etwas nach oben schnellen, mich packen und hinabziehen könnte.
Bei der Boje angekommen hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich mich nur noch zurück sehnte, an den sicheren Strand. Ich wollte das Ding einfach nur noch abklatschen und konnte diesen Moment, den ich mir schon lang herbeigesehnt hatte nicht genießen.
Die Situation wurde in diesem Moment noch schlimmer, weil ich an der Boje verharren musste, um sie zu berühren und somit auch in diesem Moment die Schwimmbewegungen unterbrach. Um nicht unterzugehen, stieß ich mit den Füßen nach unten um mehr Auftrieb zu bekommen. Dadurch tauchten meine Beine tiefer nach unten, als sie dies zuvor getan hatten und ich spürte wie das Wasser mit zunehmender tiefe merklich kälter wurde. Dies verstärkte die dunklen Gedanken, die mich schon den ganzen Weg begleitet hatten, noch mehr und ich merkte, wie sich langsam Panik breit machte.
In diesem Moment konnte ich es nicht länger aushalten. Ich begann zurückzuschwimmen, das sichere Ufer immer fest im Blick. Mit jedem Meter, den ich mich dem Strand näherte, wuchs auch meine Zuversicht. Es fühlte sich so an, als würde ich, die auf dem Hinweg verlorene gegangene Hoffnung, wieder einsammeln. Nach ein paar Minuten kam ich wieder sicher am Strand an und das Abenteuer fand ein Ende. In dem Moment als ich festen Boden unter den Füßen erreichte, war mir vor Erleichterung ganz leicht ums Herz und ich lief die letzten Meter durchs Wasser zurück.
Seit diesem Vorfall ist mir dieses Gefühl immer wieder begegnet. Sobald ich weiter auf’s offene Wasser hinaus fahre oder schwimme, kommen wieder diese Gedanken und Ängste hoch. Ich stelle mir die Frage: „Was könnte alles unter mir sein?“, rechne damit, dass mich etwas packt und in die schwarze Tiefe zieht. Es ist nicht so schlimm, dass den Gang ins Wasser meide, aber ich ab einem gewissen Punkt kostet es mich Überwindung.
Das Interessante an dieser Geschichte ist, dass seit diesem Moment, als meine Angst gegenüber dem tiefen Wasser anschwoll, gleichzeitig auch meine Faszination wuchs. Ich wollte verstehen, woher dieses dumpfe Gefühl in meiner Brust kam und begann mich deshalb immer wieder bewusst diesen Situationen auszusetzen. Außerdem waren die Momente danach, wenn man die Furcht besiegt hatte und wieder ‚in Sicherheit‘ war, besonders schön, weil sie von einem tiefen inneren Frieden geprägt waren.
Als ich diese Gedanken aufschrieb, fragte ich mich die ganze Zeit, was für mich die Moral aus dieser Geschichte sei. Und ich glaube, dass sie für mich eine Art Metapher für das Leben selbst ist.
Ich hätte nie auf’s offene Meer hinausschwimmen müssen und auch nachdem ich diese Erfahrung gemacht hatte, hätte ich die Situation einfach akzeptieren können und es nicht mehr ausprobieren müssen. Doch dadurch wäre ich letzten Endes vor mir selbst geflohen und hätte mit Einschränkungen gelebt, die ich mir durch meine Angst selbst auferlegt hatte. Dadurch dass ich es auf der einen Seite zwar akzeptierte, dass die Furcht da war, mich jedoch gleichzeitig immer wieder in Situationen begab, wo ich versuchte, mich darüber hinwegzusetzen, wuchs ich daran.
Ich glaube im Leben ist es am Ende auch so. Man kann zwar versuchen, alle Situationen zu umgehen, die man beängstigend findet, doch dadurch geht einem auch viel Lebensqualität verloren.
Außerdem ist noch lange nicht gesagt, dass etwas auch wirklich gefährlich ist, nur weil man Angst davor hat. Ich will hier natürlich nichts pauschalisieren und behaupten, dass jede Angst irrational sei, aber ich denke, dass man es unterbewusst meistens selbst ganz gut einschätzen kann, ob eine Angst berechtigt ist oder ob man sich eigentlich nur selbst im Weg steht.
Wenn ich bei mir selbst bemerke, dass letzteres der Fall ist, dann versuche ich mir immer wieder bewusst zu machen, dass ich mein Leben nicht allein bestreiten muss, sondern dass Gott an meiner Seite ist. Mir kommt diesbezüglich der Vers 9 aus 2. Korinther 12 in dem Kopf, der vor ein paar Jahren mal die Jahreslosung war „..meine (Gottes) Kraft ist in den Schwachen mächtig..“.
Es ist klar, dass wir uns nicht selbst retten können, auch nicht vor uns selbst. Wir können uns nicht verändern, aber wir können in uns Raum für Gott schaffen, dass er uns verändert. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass er dies auch wirklich tut. Man muss jedoch den Glauben aufbringen das Gott etwas tut und den Schritt auf’s Wasser wagen. Anders wird man sein Handeln nur schwer erfahren können.
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