Ich sitze im Zug. Die letzten Tage habe ich bei meiner Schwester verbracht. Von dort aus fahre ich weiter zu einer Mitgliederversammlung. Ich nehme einen frühen Zug, um pünktlich dort zu sein. Schon seit gestern habe ich so ein inneres Rumoren in mir wahrgenommen. Nein, eigentlich noch eher. Alle Tage bei meiner Schwester war es schon da. Zuerst konnte ich mich noch beruhigen. Aber ein Tag vor der Abfahrt habe ich es dann doch deutlich gespürt. Ich war auch körperlich kaputt und müde. Also ruhte ich mich an dem Tag viel aus. Ob das alles mit dem bevorstehenden Treffen zusammenhängt oder nur teilweise kann ich nicht genau sagen.
Jetzt bin ich in dem noch sehr leeren Zugabteil unterwegs und das innere Rumoren wird stetig mehr. Mir wird richtig übel und ich habe wirklich kurz darüber nachgedacht, nicht an dem Treffen teilzunehmen, da es mir echt nicht gut ging. Außerdem überkam mich eine heftige Müdigkeit und ich wusste in dem Moment nicht, wie ich den Tag überstehen kann.
Mehr als nur Übelkeit
Warum ging es mir vor dem Treffen so? Das habe ich auch überlegt. Denn ich wusste, dass zumindest die Übelkeit und heftige Müdigkeit keine Folgen von einem Infekt sind. Da steckte mehr dahinter und ich war mir sicher, dass es mit der Mitgliederversammlung zusammenhängt. Ich erinnere mich an Situationen als Kind, Jugendliche oder in den letzten Jahren, wo es mir ähnlich ging. Andere können voller Vorfreude oder in Entspannung auf Ereignisse blicken, während mir manchmal bei der Vorstellung schlecht wurde. Manchmal wurde mein Körper auch von einer Welle von Schlappheit übermannt. Oder mein Blutdruck ging in den Keller oder ich hatte Schmerzen.
Ich weiß, dass die Psyche auch körperliche Reaktionen hervorrufen kann und dass das eng in Verbindung steht. Mir fällt immer mehr auf, wie sehr das wirklich so ist. Denn oft habe ich es als ein „Mir geht es gerade nicht gut“ abgetan. Aber wenn ich ehrlich zu mir bin, stelle ich fest, dass es manchmal mit Angst, Sorgen oder dem Gefühl der Überforderung in Zusammenhang steht. In diesen Situationen ist es so, als wenn ich neben mir selbst stehe.
Ankommen in entspannter Atmosphäre
Gerade weiß ich, dass es mit den bevorstehenden Ereignissen dieses Tages zusammenhängt. Aber warum mache ich mir vor diesem Treffen solche Gedanken, sogar Sorgen? Okay, ich kenne fast niemanden und habe Bedenken, dass ich mit niemanden reden werde. Und bevor ich auch nur welche von ihnen kennengelernt habe, vergleiche ich mich mit ihnen, um zu dem Schluss zu kommen, dass die dort alle irgendwie besser sind als ich. Ich glaube, das sind die zwei Punkte, die mich vorher so sehr beschäftigen. Da ich das aber weiß, will ich mich den körperlichen Stressreaktionen nicht hingeben, aufgeben und nach Hause fahren. Also steige ich aus und lerne einen der, meiner Meinung nach, hässlichsten Bahnhöfe kennen.
Es geht weiter zu der Mitgliederversammlung. Schon auf dem Weg in der Straßenbahn lerne ich Leute kennen, die auch auf dem Weg dorthin sind und sie kennen den weiteren Weg zu dem Gebäude. Dort vor Ort ist es entspannt. Es sind auch fast alle dort, um andere Menschen kennenzulernen. Das heißt, wenn man sich nicht komplett zurückzieht, kann man gut ins Gespräch kommen. Es ist eine entspannte Atmosphäre. Schnell stelle ich fest, dass meine Bedenken und der Stress vorher natürlich völlig unnötig waren. Und weißt du was? Das wusste ich eigentlich. Aber das allein hilft nicht, dass diese „Symptome“ vorher weggehen.
Besser als erwartet
Manchmal sind es vielleicht normale Stressreaktionen vom Körper. Manchmal vielleicht auch das, was man als „geistliche Anfechtung“ bezeichnet. Und in den Momenten weiß ich, dass es nicht bleibt. Es ist trotzdem immer wieder sehr unangenehm. Allerdings hat es auch einen Vorteil. Wenn es mir so geht, feiere ich das zwar nicht, aber ich weiß Jesus ist auch dann da. Auch wenn er meine körperlichen Symptome nicht immer wegnimmt. Am Ende werden es so gut wie immer gute Zeiten und Treffen.
So wie auch heute. Ich lerne coole Leute kennen, es ist entspannt und ich fahre froh nach Hause. Gott ist bei mir und gute Dinge warten auf mich. Nur ist es nicht das, was ich erwarte. Stattdessen gehe ich mit einer sehr pessimistischen Erwartungshaltung an die Sachen ran. Und immer wieder stelle ich fest, dass es gar nicht so wird, sondern dass es gut wird. Und das ist cool zu sehen. Das lerne ich bei kleinen und großen Dingen. Bei einer Mitgliederversammlung, wo ich niemanden kenne und bei einem Treffen mit Freunden. Es wird besser, als ich es mal erwartet habe.
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