Wir sind umgeben von Dingen, die uns Sorgen bereiten, von Ängsten, manchmal vielleicht sogar von existentiellen Nöten; von Schicksalen, die uns das Herz schwer machen.
In meiner letzten Kolumne habe ich über einem Kurzfilm geschrieben, der die Geschichte von Will erzählt: Einem Mann ohne Arme und Beine.
Will ist Teil einer Freakshow, in der er als „Perversion der Natur“ den neugierigen Besuchern zur Schau gestellt wird. Beständig ist er angewiderten Blicken, geheucheltem Mitleid und sogar hohnvollem Gelächter ausgesetzt. Dies ändert sich als Mr. Mendez – der Direktor des Butterfly Circus – in Wills Leben tritt. Zum ersten Mal begegnet Will einem Menschen, der ihn mit Respekt Wertschätzung ansieht. Alles hängt an dieser anderen Sicht.
Dieser Gedanke hat mich vor vier Wochen sehr bewegt, weil ich zu diesem Zeitpunkt ein Praktikum in der Schnitte in Halle-Neustadt absolviert habe. Die Schnitte ist eine Kinderbetreuungseinrichtung des CVJM Halle. Hier bekommen Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren nach der Schule ein warmes Mittagessen, Hilfe bei den Hausaufgaben und zahlreiche Spiel- und Bastelangebote.
All das ist für die meisten Kinder, die in die Schnitte kommen keine Selbstverständlichkeit: Halle hat im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten eine sehr hohe Kinderarmutsrate; zwei Drittel der Kinder in Halle-Neustadt – ein Stadtteil, der als soziales Brennpunktviertel gilt – leben in Familien, die Hartz IV beziehen. Neben mangelnden finanziellen Ressourcen ist es vor allem eine Perspektivlosigkeit, die sich hier bei vielen Menschen und eben auch bereits bei einigen Kindern in der Schnitte breit macht. Nicht selten führt das zu instabilen Familienverhältnissen, sozialen Nöten und psychischen Erkrankungen.
All dies sind Nöte und irgendwie stellt sich automatisch die Frage, wie man diesen Nöten begegnet. Diese Frage brennt umso mehr, wenn wir uns als Christen und damit als Nachfolger Jesu verstehen.
Vielleicht begegnest du ganz anderen Problemen in deinem Umfeld; Gott sei Dank sind nicht alle Regionen in Deutschland so stark von Kindesarmut betroffen wie die Stadt Halle. Aber ich bin mir sicher, dass du irgendeine Form von Not schon einmal wahrgenommen hast.
Spätestens seit den letzten Wochen sind wir alle auf merkwürdige Weise einer globalen Not ausgesetzt. Vielleicht betrifft dich die Pandemie nicht direkt, aber trotzdem wirft sie umso dringlicher die Frage auf: Wie begegnest du solcher oder anderer Not?
Es wäre grundfalsch die Augen zu verschließen und wegzuschauen. Wenn man versuchen will, Lösungen zu finden, ist es absolut notwendig die Probleme wahrzunehmen. Logisch.
Ich glaube darüber hinaus, dass wir all das nicht allein tragen können und sollen. Gott lädt uns ein, alle Sorgen auf ihn zu werfen: Wir dürfen ihm alle Not, ja, alles Leid dieser Welt bringen, wir dürfen vor ihm klagen; ihn im wahrsten Sinne des Wortes anklagen. Und das ist keineswegs falsch, im Gegenteil.
Aber hier will Gott nicht stehenbleiben. Gott ist kein unendlicher Kummerkasten, der uns vielleicht die Sorge für einen Moment abnimmt, uns aber dann allein in der Not zurücklässt. Gott hat eine andere Sicht. Sind wir bereit für diese andere Sicht?
Gott sieht und kennt das Leid dieser Welt ganz genau. Denn er hat es am Kreuz auf sich genommen und bis in den Tod gehorsam getragen. Er kennt die Not, der wir begegnen oder in der wir uns selbst befinden. Jesus ist der mitleidende Gott.
Aber weil Jesus das Leid dieser Welt nicht nur bis zum Tod am Kreuz getragen hat, sondern durch seine Auferstehung den Tod besiegte, hat Jesus jedem Leid, jeder Not, jeder Sorge und jedem Schmerz eine grenzenlose Hoffnung gegenübergestellt.
Jesus ist die Auferstehung und das Leben in aller Fülle! Darin besteht der Perspektivwechsel. Es geht nicht darum einfach von der Not wegzuschauen und sich an irgendetwas anderem zu freuen. Es geht darum Not wahr- und ernst zu nehmen; gewissermaßen durch die Not hindurch zu blicken und die Augen auf die Hoffnung zu richten, die in Jesus ist. Diese Hoffnung kann uns herausfordern. In „Butterfly Circus“ behandelt Mr. Mendez den gliederlosen Will wie einen vollkommen gesunden Menschen, weil er davon überzeugt ist, dass Will viel mehr ist als ein bemitleidenswerter Krüppel. Er ahnt, dass in ihm etwas Großartiges schlummert. Er hat eine andere Sicht. Und deshalb sagt er zu Will: „Wenn du nur die Schönheit sehen könntest, die aus Asche entstehen kann!“
Weitere Texte
31. August 2020
Sehnsucht nach Ewigkeit
Moin ihr Lieben! Ich melde mich nach einer langen Sommerpause zurück. Es ist…
4. Mai 2020
Grüße von der See
Moin, sagt man an dem Ort, an dem ich nun wohne. Vielleicht hast du (als mein…
9. März 2020
Perspektivwechsel – Teil 1
Ich schaue hin und wieder gerne Kurzfilme. Ich mag es, wenn man unvermittelt…