„Aaaaaaach hey, das wird schon alles irgendwie werden“, höre ich mich sagen, weil ich das meistens sage, wenn mir jemand von Problemen erzählt, die ich als relativ überschaubar bewerte. Jetzt zum Beispiel: eine Freundin hatte mir gerade erklärt, welche Hürden sie nehmen muss, um in Deutschland versichert sein zu können – und ich bin mal wieder entspannt, weil hey, was soll schon passieren? Lange Geschichte kurz: es ist nicht alles irgendwie geworden. Also es wurde vor allem ganz schön kompliziert und kräftezehrend. Ups. Vielleicht war ich da etwas zu naiv – oder?

Inwieweit ist es gut, naiv zu sein?

Ich habe mich in den letzten Wochen viel mit Naivität beschäftigt, denn ich habe gemerkt: ich hab manchmal ziemlich viel davon. Manchmal Naivität, manchmal Zuversicht, manchmal Optimismus – die drei auseinander zu halten, ist auch gar nicht so leicht. Dabei finde ich es spannend, mich selbst zu beobachten: einerseits ist da oft die (vor allem an sich selbst) zweifelnde Jasmin, die meistens irgendwo ein „aber“ parat hat; die immer irgendwas findet, dass sie im Gespräch nicht bedacht oder berücksichtigt sieht. Und andererseits ist da die Jasmin, die sehr daran glaubt, dass Menschen sich ändern können; dass Neues funktionieren kann, überhaupt, dass Neues ausprobieren sich immer lohnt und dass Menschen im Kern nicht böse sind, aber manchmal einfach nicht anders können, als dann halt doch Bullsh*t zu bauen. Das zu denken, hat für mich schon einen gewissen Grad an Naivität. Wikipedia sagt, dass Menschen dann als naiv bezeichnet werden, wenn sie Umstände und Handlungen nicht angemessen bewerten können. Synonyme sind leichtgläubig, arglos, leicht verführbar oder unwissend – alles Sachen, die wenig cool klingen.

Ich frage mich trotzdem: Inwieweit ist es gut, naiv zu sein? Kann Naivität auch anderes bedeuten, und wo wird sie vielleicht einfach Blindheit oder sogar Gefahr?

Christliche Naivität = Glaube?

Ich verbinde mit Naivität eher einen (kindlichen) Glauben an eine Veränderung zum Guten/Besseren hin. Mit dieser Definition fände sich im Christentum eine ganz schön große Portion davon. Da geht es viel um Transformation auf allen möglichen Ebenen, um Dinge, die sich durch Gott plötzlich drehen können oder schon gedreht haben. Wer das für sich schon einmal an einer Stelle im Leben erleben durfte weiß, wie tiefgreifend sich so etwas anfühlen kann. Ich glaube, viele Gläubige streben nach dieser Veränderung, nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf sozialer Ebene. Das kann ein sehr motivierender Antrieb sein.

Naivität hat aber dann eine Rückseite, wenn ich Risiken nicht mehr wahrnehme, blind werde für das, was auch sein kann – und was vielleicht nicht immer gut ist oder von Gott ausgefüllt wird (wie der christliche Jargon so sagt). Zum Beispiel dann, wenn ich hoffe, Gott wird bestimmt schon bei meinem trauernden Freund eingreifen, der gerade einen familiären Verlust erlitten hat und eigentlich gar nicht viele Menschen in seinem Umfeld hat, die jetzt mit ihm einfach Zeit verbringen. Dann ist ein Gebet für die Person vielleicht ganz nett, aber vielleicht ist es auch ein bisschen naiv zu glauben, ich müsse da jetzt keine Rolle drinn spielen, weil Gott macht das ja und möge ihn versorgen. Meine Erfahrung ist die: oft geht es darum, dass Menschen für andere Menschen da sind. Und Gebet ist oft gut gemeint, aber vielleicht nicht ausreichend, wenn es um ganz Praktisches geht.

Die beiden Pole von Naivität

Versteh‘ mich bitte trotzdem nicht falsch: das hier ist kein Plädoyer dafür, sich noch mehr ins potenzielle Burnout zu stürzen, weil du dich jetzt um drei Menschen mehr kümmerst. Bitte, mach das nicht. Das hier ist eigentlich eher ein Plädoyer dafür, mal die beiden Pole von Naivität zu betrachten und sich dazwischen gesund zu verorten.
Manchmal fehlt uns die Leichtigkeit zu glauben, dass Dinge sich verändern können. Wenn du das bei dir kennst: ich wünsche dir, dass du dich trauen kannst, ein bisschen mehr Leichtigkeit und Vertrauen zuzulassen. Und manchmal fehlt ein Blick auf die Realität und meine Rolle darin. Wenn du das bei dir kennst: ich wünsche dir, dass du dich trauen kannst, Verantwortung zu übernehmen. Im Paradies Naiv ist es manchmal auch echt bequem, und das ist nicht immer cool.

Ich wünsche mir für die christliche Bubble einen guten Umgang mit Naivität. Ich wünsche uns, dass wir nicht aufhören zu glauben, dass Veränderung möglich ist – für uns, für unsere Nachbarn, für unsere Gesellschaft. Und dass wir uns in diese Veränderung hineinleben. Ich wünsche uns, dass wir Dinge manchmal einfach ausprobieren, anstatt nur darüber nachzudenken, und dass wir glauben können, dass durch uns Veränderung geschehen kann.

Und ich wünsche uns, dass wir weniger wegschauen, wenn wir es eigentlich gern würden, weil gerade wirklich die Zeit oder nervliche Kapazität oder einfach die Lust fehlt. Manchmal macht sich nicht alles von selbst, oder läuft unkompliziert, manchmal ist eine Risikoabwägung gut.

Lass mal ne gute Mitte finden.