„Man muss die Dinge auch mal stehen lassen können“, sagst du, und stellst die leere Müslischüssel in die Spüle – in der schon ein Topf mit Wasser und Essensresten steht, die aufgelöst und gelblich schimmernd an der Oberfläche treiben. Und zwei Kaffeetassen, in denen der Kaffeesatz zäh und dunkelbraun auf dem Boden festklebt. Und 2 benutzte Löffel. Und 3 Messer. Und eine Kuchengabel. Und ein Teller mit einem Rest Kuchen drauf. „Ist ja nur zum Einweichen“, hattest du damals gesagt, vor ein paar Tagen oder vielleicht auch schon einer Woche, ich weiß schon gar nicht mehr genau, und seitdem weicht eben alles ein, ganz meisterhaft viel wird hier eingeweicht, das Lob muss ich dir auch mal lassen, das machst du ganz gewissenhaft mit dem Einweichen, Chapeau. Man muss die Dinge auch mal stehen lassen können.

Ich mag das nicht. Die Geschirrberge neben der Spüle, die abends vor dem ins Bett gehen immer noch dastehen, regen mich auf, und überhaupt, stehen lassen, ich lasse nicht gern stehen. Manche Meinungen, das Essen in Kühlschrank, Menschen an Tankstellen, die E-Scooter mitten auf dem Bürgersteig – es gibt Dinge, da ist es einfach nicht cool, die so stehen zu lassen. Und deswegen räume ich auf. Gern und viel.

Jedes Wochenende mein Zimmer: die Klamotten in die Waschmaschine, vollgeschriebenes Papier in den Papierkorb, die Ordner ins Regal, den Dreck in den Staubsauger. Jeden Tag das Geschirr, wenn es keiner vorm Schlafengehen in den Geschirrspüler geräumt hat, oder als erste Amtshandlung, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme und sich den Tag über niemand um das Geschirr gekümmert hat. Oder sich dachte, dass alles noch ein bisschen mehr einweichen muss. Ich räume auf Arbeit mit Klischees auf oder Vorurteilen derer, die finden, dass ein Praktikant schon okay und ganz nett für den Betrieb sei, aber dann bitte kein Ausländer. Auf meinem PC räume ich die Ordner auf und alles, was den Desktop schon wieder vollspamt. In mein Gedächtnis räume ich die Gedanken, die der Tag so hineingespült hat. Einige sind mir neu, einige sind schwer zu sortieren, einige sind Dauergast. Ich räume und räume und räume.

Ich bin mein Leben lang mit aufräumen beschäftigt.
Und es fängt überall an und hört nirgendwo auf.
Ich räume und sortiere und beschrifte vorbildlich
Und müde geh ich ins Bett und müde stehe ich auf.

Flecken auf dem Teppich
sind für dich kein Problem,
aber mir sind sie ehrlich im Weg.
Ich weigere mich, nach vorne zu laufen,
solange hier alles so dreckig aussieht.
Das kann man doch niemandem so zeigen.
Ehrlich, ich lass doch so keinen hier rein.
Was lange steht, wird irgendwann gammlig
Und vermehrt sich mit der Zeit.

Manchmal willst du dann helfen. Fragst, ob du auch was machen kannst
Und wenn nein, ob ich dir dann zumindest was von meinem Chaos zeig,
Aber helfende Hände fand ich noch nie wirklich geil.
Weil ich noch nicht mal mir zutraue, das hier alles zu schaffen.
was sollst du da schon machen, komm‘, lass mich lieber allein.

Und dann bleibt da Wut, dass immer Zeit fehlt.
Und ich würde ja gerne weit gehen,
aber sorry, hier komm ich nicht vorwärts,
wenn da immer noch das Zeug steht.

Manchmal muss man die Dinge einfach stehen lassen können. Mir fällt das schwer; schwer, weil ich meine Ansprüche an mich opfern muss, schwer, weil sich Unfertiges immer eklig anfühlt und schwer, weil ich mich von der Illusion verabschieden muss, jemals fertig werden zu können. Und dann kann es ganz hilfreich sein, die Dinge stehen lassen zu können. Pause zu machen und mich andermal darum zu kümmern. Oder mir in der Zwischenzeit einfach mal zu erlauben, mich Neuem zu widmen. Auszuprobieren. Vorwärts zu gehen. Dann lässt du das Zeug halt inzwischen einweichen, einfach seeeeeehr lange einweichen. Werde Weltmeister im einweichen. Manchmal ist das halt so.

Manchmal muss man die Dinge auch stehen lassen können, hast du gesagt. Und ich muss lächeln, und ich muss gleich los, und ich stelle meine leere Müslischüssel neben deine in die Spüle. Kann ich ja später machen.