Das Gegenteil von gleichgültig

Sag, hast du die Feuer gesehen?
Wie es brannte?
Die Flammen und den Rauch in der Nacht?
Hast du die Menschen gesehen, die rannten,
und die Glut und den Morgen danach?
Ja, und dann die Polizei.
Ja, nee, das war schon echt krass.
Nee, das ging echt zu weit,
darum hab ich dann auch nen Post bei Insta gemacht
in der Hoffnung, dass das reicht.

Aber hey, alles in allem
Tun wir doch echt viel
Wir produzieren so viel Frieden
Und kriegen Preise dafür
die wir stolz präsentieren
in blankpolierten Vitrinen
in der Mitte, schön gut sichtbar im Flur.
Und dann spiegeln wir uns selbst darin,
solange bis wir blind sind
und denken, wir wären Monopol,
um die Menschlichkeit zu finden.
Wir malen uns erhobenen Hauptes Himmel
und Sterne im Kreis
auf Flaggen als unser Sinnbild.
Jetzt stehen wir betroffen daneben
und weil keiner weiß
was jetzt wohl vielleicht am besten wäre,
hoffen wir träge, dass Mitgefühl reicht.
Schockiertes Kopfschütteln
als müder Solidaritätsbeweis
und dann den Fernseher aus
und den Off-Modus ein.

Und du, du demonstrierst
gegen den Stoff vor deiner Nase
aber findest Massenlager
die Menschen behandeln wie austauschbare Gegenstände
an EU- und Wohlstandsaußengrenzen
schon okay.

Totstellen bliebe noch als Alternative.
Oh, glückliches Los der Privilegierten.
Ich weiß zu viel, um zu negieren
Und ich will nicht, dass es aufhört, mich zu schockieren,
Immer und immer und immer wieder.
Immer und immer und immer wieder.

Ich weiß nicht, ob du es schon bemerkt hast, aber: die Zeiten sind hart. Keine Ahnung, ob das schon jemals anders war, aber okay, andere Frage. Auch diese Zeiten sind auf jeden Fall hart. Nicht, weil vor ein paar Monaten Klopapier und Nudeln permanent ausverkauft waren, oder weil uns heute Morgen der teure Espresso aus selbstgemahlenen Arabica-Bohnen auf die neue Levi’s-Jeans getropft ist, sondern weil um uns herum so dermaßen viel an sozialer, globaler und politischer Entwicklung passiert, dass uns die Komplexität der Welt hin und wieder ordentlich um die Ohren fliegt. Mir zumindest.

2020 allein hat schon auf politischer Ebene einen Wust aus Ereignissen mit sich gebracht, der es in sich hat: Corona und seine Auswirkungen, dann die Ermordung von George Floyd und die Black Lives Matter Proteste, Rechtsextremisten, die auf fragwürdigen Demonstrationen den Reichstag stürmen, Brände im Flüchtlingslager Moria – und das sind nur einige Ereignisse, die in diesem Jahr passiert sind. Keine Ahnung, wie es dir damit geht, aber ich finde, das sind alles ziemlich heftige Sachen, und mich beschäftigen solche Dinge sehr. Menschen in meinem Umfeld reagieren darauf sehr unterschiedlich: mit Wut, Empörung, Schock, (Un-)verständnis oder auch einfach mit Gleichgültigkeit.

Letzteres ist, glaube ich, in einer Welt, in der Reizüberflutung Alltagsprogramm ist und wir permanent mit krassen Nachrichten konfrontiert sind, super verlockend. Klar, ist auch schwierig: Soll ich mich zuerst um den brennenden Regenwald in Brasilien kümmern oder die geflüchteten auf Lesbos oder den Menschenhandel in Osteuropa oder die miesen Arbeitsbedingungen in Textilfabriken in Bangladesch oder den politischen Ruck nach rechts in Europa? Und dann sind da ja auch noch meine Nachbarn, meine Stadt, mein Umfeld, die meine Aufmerksamkeit im Alltag meist mehr erfordern als die Ereignisse weiter weg, die Videos und Berichte ins Internet spülen. Dann lieber erstmal den Fernseher eingeschaltet und zum Verschnaufen „Love Island“ geschaut, denn am Ende kann ich an den globalen Sachen ja sowieso nichts ändern. Und beim „Love Island“ schauen kann das Gehirn immer so lustig vor sich hinblubbern.

Das obenstehende Gedicht habe ich vor ein paar Wochen in einem sehr wütenden Moment geschrieben, in dem ich mich gleichzeitig sehr hilflos gefühlt habe. Nach dem Brand in Moria haben viele Menschen Dinge auf Instagram gepostet, aber manchmal frage ich mich, wer wirklich etwas aktiv gegen Missstände wie diesen tut oder bereit ist, zu tun – mir inklusive. Und dann frage ich mich, was es heißt, in diesem ganzen Wirrwarr an Komplexität als Christin unterwegs zu sein.

Ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, das Gegenteil von gleichgültig zu sein. Ich glaube, dass Jesus das meint, wenn er sagt, dass wir nicht „lau“ sein sollen – sei heiß, sei wütend, sei sauer, sei halt irgendwas, von mir aus auch kalt – aber sei nicht gleichgültig. Denn die Gleichgültigkeit ist die Verneinung der Dinge, der Entzug aus jeglicher (emotionaler) Anteilnahme an der Welt.

Ich habe mich neulich gefragt, wie ich eigentlich das Gegenteil von Gleichgültigkeit nennen würde. Und neben Anteilnahme habe ich an das Adjektiv weich gedacht. Weichheit – oder im christlicheren Jargon vielleicht auch Barmherzigkeit – bedeutet für mich, durchs Leben zu gehen und dem zu begegnen, was mir begegnet. Ich glaube, dass Jesus uns dazu auffordert, Anteil an der Welt und den Geschehnissen um uns herum zu nehmen und uns auf das einzulassen, was da ist – mit all seinen Geschichten, Prägungen und Widersprüchen, mit der vollen Ladung geballter Schönheit und Hässlichkeit der Welt. Mit Menschen abzuhängen, denen Tausend Stigmata angeheftet wurden, über die gern gesagt wird „Boar, häng‘ lieber nicht mit denen rum, die sind zu unrein/dreckig/dumm/faul/ungläubig für dich.“

Ich glaube, dass es genau dann unsere Aufgabe ist, uns zu diesen Menschen dazuzusetzen, ihnen zuzuhören, und Hände zu reichen, wo nötig. Nichts anderes kann ich in dem erkennen, wie Jesus Menschen begegnet – wenn er mit pseudoreligiösen Menschen gemeinsam isst. Oder Prostituierten, oder Steuereintreibern, oder den „Weirdos“ von nebenan so wie du und ich. Da ist keine Gleichgültigkeit, sondern immer Weichsein und Begegnung.

Und diese Weichheit wünsche ich mir für uns als Christen, aber auch für unsere Welt, denn sie braucht Menschen, die ernsthaft Anteil an ihr nehmen und füreinander eintreten. Denen es nicht egal ist, dass andere eben abgeknallt werden, nur weil sie versuchen ein Land zu betreten. Oder vom Gottesdienst nach Hause geschickt werden, weil sie mit ihrer Homosexualität nicht in die Gemeinde kommen brauchen. Oder denen gesagt wird, dass sie mit ihrer Depression sowieso nichts aus ihrem Leben machen können, tja Pech. Nein man.

Ich glaube an Perspektive, an Gott im Miteinander, und ich glaube, dass es das Gegenteil von Gleichgültigkeit braucht. Vor allem in harten Zeiten wie jetzt.