Kennt ihr das? Ihr geht irgendwo hin wo ihr noch nie wart und fühlt euch von Beginn an wohl – angekommen und angenommen. Fast wie nach Hause kommen.

So ging es mir neulich. Wir waren im Urlaub und wollten sonntags in einen Gottesdienst gehen. Google ist da äußerst hilfreich. Und so fand ich eine freikirchliche Gemeinde im tiefsten Bayern mit einem morgendlichen Gottesdienst. Dort angekommen war ich dann etwas verwundert. Nix mit einem großen Parkplatz, einem großen Gebäude, großer Technik. Hier war eher die einfache, leichte Light-Variante zu finden. Überschaubar halt.
Gleich am Eingang, an dem wir begrüßt wurden, mussten wir unsere Daten hinterlegen. Mir fiel auf, dass dort auch Zettel zum Aufschreiben von Gebetsanliegen und Gebetserhörungen lagen. Fand ich nett.

Der einzelne zählt

In Bayern hatten gerade die Schulferien begonnen – vielleicht waren wir deshalb die einzige Familie mit einem Kind an diesem Sonntag in diesem Gottesdienst. Dennoch kamen zwei nette Frauen auf uns zu und boten an, für und mit unserem Sohn einen Kindergottesdienst auszugestalten. Wir lehnten dankbar ab und baten einfach um ein paar Zettel und Malstifte.
Aber: Ist es nicht schön, dass der einzelne so viel zählt. Das hat mich berührt. Es hat mich an unterschiedliche Andachten und Predigten erinnert in denen es darum ging, dass Jesus immer den Einzelnen sieht. Ab wie vielen Kindern lohnt sich eigentlich ein Kindergottesdienst? Ein Gottesdienst? Ein Lobpreisabend? Wie viele Schafe müssen weglaufen damit sich das Suchen lohnt?

Und dann ging auch schon der Gottesdienst los. Ich weiß nicht mehr genau welches Lied zu Beginn gespielt wurde – aber es war ein mir bekanntes deutsches Lobpreislied. Leicht verständlich. Ein paar Besucher standen auf, einige blieben sitzen. Ich sah mich um im Saal. Es gab einfache Technik mit einem in die Jahre gekommenen Beamer. Eine Flagge mit „Jesus ist Herr“ zierte eine Wand des Raumes. Und irgendwo hingen auch noch ein bis zwei Bibelsprüche rum. Die Gruppe der Gottesdienstbesucher war klein und überschaubar. Fast schon entschuldigend wurde in der Begrüßung darauf hingewiesen, dass ja viele im Urlaub seien. Und dann wurden Kärtchen mit Gebetsanliegen und -erhörungen vorgelesen.

Gebetserhörung

Nummer eins: Ein Gemeindemitglied hatte ihre Uhr scheinbar in der Nähe eines oder auf einem Parkplatz verloren. Länger gesucht – nicht gefunden. Schließlich wurde dann ein Gebet zum Himmel geschickt. Und tatsächlich wurde doch die Uhr in einem Laden nahe des Parkplatzes abgegeben. Die Frau war total dankbar. Im Gottesdienst wurde dann diese Karte als Gebetserhörung vorgelesen. Dann gleich ein Gebet hinterher in Richtung „Danke Gott, dass Du dich kümmerst und danke, dass es ehrliche Menschen gibt“. Innerlich war ich kurz am Schmunzeln. Aber ich wurde auch schnell überführt und musste mir Fragen stellen: Wo beginnt denn Gottes Kümmern um/für mich? Was ist für mich schon Normalität oder Zufall geworden? Wo gebe ich Gott noch die Ehre? – frei nach dem Motto: Wir wollen ja nichts übertreiben.

Petras Bruder

Nummer zwei: Hier bat eine Frau aus der Gemeinde um Gebet für ihren Bruder. Und dieses Gebetsanliegen wurde in folgender Art und Weise vorgetragen. „Petra bittet um Gebet für ihren Bruder. Ihm geht es nicht so gut. Gerade ist es so, dass Familie und Arbeit über den Kopf wachsen. Er ist sehr gestresst und findet kaum Ruhe. (kurze Pause) Und ich denke wir sollten auch gemeinsam für sein Alkoholproblem beten“. Es verschlug mir die Sprache. Wurde das jetzt wirklich gesagt? Auch meine Frau war etwas irritiert. Ich erinnerte mich gleich an ein altes Buch von Adrian Plass (Tagebuch eines frommen Chaoten). Ich habe schon einiges erlebt – so etwas schon länger nicht mehr. Und dennoch. Innerlich sammelte ich mich und blickte zeitgleich in die Menge. Keiner war irritiert, keiner schüttelte den Kopf, keiner sagte „hab ich mir doch gedacht“ zum Nachbarn. Das was aber alle taten, war ein Gebet zum Himmel für diese Anliegen schicken.
Auch wenn jeder für sich allein betete, kam es mir so vor als ob alle zusammen ein riesengroßes Tuch voller Annahme, Wärme und Liebe um Petras Bruder legten. Schon kurz danach fragte ich mich: Was dürfen Menschen von mir wissen? Was dürfen sie über mich sagen? Wem teile ich mich so offen mit? Wem sollte ich mal öfter so eine Decke umlegen in dieser manchmal kalten Welt? Wie viele Orte kenne ich eigentlich, an dem so offen gesprochen wird? Wie viel Nähe und Offenheit ist erträglich ohne dass es peinlich wird.

„Einfach Jesus. Das tat gut.“

Nach diesen Mitteilungen ging es dann zur Predigt und zum Lobpreis. Mir fiel auf, dass es in diesen Liedern – einige kannte ich noch aus den 90er Jahren – ausschließlich um Jesus ging. Man könnte ja meinen, dass dies in einem Gottesdienst normal wäre. Dem ist aber nicht so. Einige Lieder, die ich in frommen Zusammenkünften wahrnehme, handeln eher von mir und Dir – wie wir gesegnet sind, wie wir gerettet wurden, was für uns getan wurde. Auch dies sind alles Wahrheiten und gehören ausgesprochen und ausgesungen. Aber hier erlebte ich mal wieder Jesus im Zentrum – und nicht mich. Kein „ich sing mich mal positiv und glücklich“. Kein „wir sind so toll und reich beschenkt“. Kein „ich ich ich“. Kein christlicher Selbstoptimierungswahn. Kein „Schneller Besser Weiter“ Größer Leuchtender.  – Einfach Jesus. Das tat gut.

Nach dem Lobpreis und dem Abendmahl war dann auch der Gottesdienst vorbei. Wir sind nicht gleich gegangen sondern haben uns mit einigen unterhalten dürfen. Kein theologisches Gespräch – aber auch nicht nur Small-Talk. Einfach ganz normal. Wir waren interessiert an ihnen und sie an uns. Interessant – gerade wenn man bedenkt, dass wir uns wahrscheinlich hier auf Erden nicht mehr sehen werden. Irgendwie gab es da etwas – als ob wir zusammengehören.

Ich mag solche Orte und Begegnungen. Orte, an denen der Einzelne, der Nächste, wahrgenommen wird. Angenommen ist. Geschätzt wird. Begegnungen mit einer unsichtbaren, gottgegebenen Verbundenheit. Was will man mehr. Wie gesagt – es war fast wie nach Hause kommen.

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