Innerlich aufgelöst und kaum ansprechbar. Nickend aber nicht zuhörend. Suchend nach Antworten. So saß er mir gegenüber. Eigentlich kannte ich ihn kaum. Ich hatte ihn – wenn ich so darüber nachdenke – erst zwei- oder dreimal gesehen. Und richtig gesprochen hatten wir auch nicht. Eher nette und allgemeine Floskeln ausgetauscht. Aber diese Begegnung war anders. Eine große Liebe zerbrach. Nicht eine sondern Seine. Und mit dieser Liebe zerbrach sehr viel in ihm.

Der Zerbruch raubte ihm Kraft sowie Zuversicht und brachte schlaflose Nächte. Dies alles erzählte er mir in einer sehr persönlichen Weise. Er hätte so viel unternommen, um diesen Zerbruch rückgängig zu machen. Eigentlich hatte er sogar viel unternommen – aber das Ergebnis brachte nicht die von ihm erhoffte Frucht.
Ich merkte im Gespräch, wie sehr diese Beziehung scheinbar der Mittelpunkt seines Lebens war. Vielleicht sogar ein Grund zum Leben. Ohne sie wollte und konnte er sich die Zukunft kaum vorstellen. Und egal was ich auch sagte – er kam immer wieder auf sie zu sprechen. „Du musst dich jetzt erst mal um dich und deine Seele kümmern“ sagte ich ihm. Nicht wissend, wie sehr diese Worte ein paar Tage später mein persönliches Leben trafen und betrafen.

Mein innerer Schrei

Es war Freitag früh. Ich war gerade dabei, Frühstück zu machen. Und da hörte ich sie. Noch nie hatte ich meine Frau so schreien gehört. Ich ließ alles fallen und rannte die Treppe hoch. Im Kinderzimmer sah ich sie. Meine Frau und meinen Sohn. In einem Schockzustand. Halb verzweifelt. Gar nicht so richtig ansprechbar. Es fielen Sätze wie: „beim Halbsalto auf dem Kopf gelandet“, „er war 20 bis 30 Sekunden weg“, „sein ganzer Körper hat gezuckt“ „ich weiß nicht, ob er seine Beine noch bewegen kann“…
Diese paar Sekunden, vielleicht auch nur Millisekunden, die ich zum Erfassen brauchte, fühlten sich an wie Minuten. Mein innerer Schrei wurde zu einem Gebet – zu einem Gebet, welches erhört wurde. Ich fühlte mich überfordert und funktionierte für ein paar Minuten nur. Unser Sohn konnte sich nicht bewegen. Ihm tat der Rücken sehr weh. Aber auch dies wurde Minute um Minute besser. Schließlich landete er im Krankenhaus wo er zur Beobachtung bleiben musste.
Am Nachmittag konnte ich ihn noch mal kurz besuchen. Es war kein schöner Anblick, ihn da verkabelt liegen zu sehen und dann gehen zu müssen. Aber es konnte nur ein Elternteil bei ihm bleiben – und dies war seine Mutter.

Meine eigene Hilflosigkeit

Erst am späten Abend kam ich langsam zur Ruhe. Ruhe? Eigentlich war es keine Ruhe. Ich war einfach platt. Der Tag zog in meinen Gedanken noch ein paar Mal vorüber. Aber ich merke auch, dass es nicht nur meine Gedanken waren, die betroffen waren. Auch meine Seele war es.
Als ich nach ein paar Stunden aufwachte, war ich gleich wieder in der Situation vom Tag zuvor. Und wieder zog das Geschehene an mir vorbei. Ab und zu gab es Bildsequenzen, die ich länger betrachtete – als ob ich bei einem Film die Pausetaste gedrückt hätte. Ein Standbild mit unterschiedlichen Betrachtungswinkeln. Und in einem dieser Momente spürte ich es: Meine eigene Hilflosigkeit. Ich musste mir eingestehen, dass ich das alles nicht in der Hand hatte – obwohl ich es wollte. Und es war, als ob aus der Dunkelheit kommend diese leisen, fiesen und entmutigenden Stimmen meine Gedanken erreichten und sich dort festkrallen wollten. Stimmen, die mir Angst machen wollten und es auch taten.

Mein Seelentröster

In diesem Moment hörte ich sie. Nicht mit den natürlichen Ohren, aber in den Gedanken und im Herzen wahrnehmbar. Ich kannte diese Stimme und wusste, dass sie es gut meinte. „Du musst dich jetzt um dich und deine Seele kümmern“. Er hatte mal wieder Recht. Ich merkte, wie sehr mir dieser Tag zugesetzt hatte. In all den letzten Stunden lag mein innerer Fokus auf meinem Sohn.
Gefühle von Dankbarkeit mischten sich mit Fragen wie „was wäre wenn“. Und das war normal, nachvollziehbar und vor allem menschlich. Aber es war auch kräftezehrend. Schlafen konnte ich sowieso nicht mehr. Und so begann ich damit, ihm meine Seele hinzuhalten. Ihm, meinem Seelentröster. Jesus. All meine Gedanken, meine Gefühle, meine Ängste aber auch meine Hoffnung gegründet auf seinen Zusagen legte ich ihm hin. Viele würden dies Gebet nennen. Gebet aus der Tiefe meines Seins. Gebete, die nicht nur aus Worten bestanden. Bibelstellen aus den Psalmen wurden auf einmal realer und greifbarer für mich. „Warum bist du so aufgelöst, meine Seele“. Und ich spürte wieder, dass ich weniger in der Hand hatte, als ich wollte. Ich wusste, ich kann nicht alles kontrollieren. In diesem Bewusstsein erkannte ich aber auch, dass nicht ich mich um meine Seele kümmern konnte und musste. Das konnte eigentlich nur er.

Dankbarkeit

Ich bin so dankbar, jemanden zu haben, dem ich mich anvertrauen kann. Der meine Seele berührt. Bei dem meine Seele zur Ruhe findet. Ich hätte nie gedacht, dass ich das so dringend bräuchte. Ich bin bestimmt keiner, der immer wieder sein Innerstes durchleuchtet und schaut, was da noch so versteckt und verändert werden muss. Aber ab und zu ist dies notwendig. Es ist nicht getan mit einer einmaligen Seelenmassage – auch wenn es schön wäre. Wir alle brauchen dies. Immer mal wieder ein Seelenbad in seiner Gegenwart und seinem Wort zu nehmen. Heilsam. Belebend. Erfrischend. Und vor allem reinigend.