„Liebe und Beziehung. Junge Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen, brauchen Liebe und Beziehung.“ – aus „Liebe (und Beziehung)“ von Leo Dölle.

Ging es bei meiner letzten Kolumne um einen Aspekt dieser Liebe, so ist heute der Schwerpunkt „Beziehung“. Ungefähr 105.000.000 Suchergebnisse gibt es bei Google – für das deutsche Wort. Und auch wenn so viel darüber geschrieben wird, es unzählige Ratgeber gibt (mehr als 100.000 Ergebnisse oder Vorschläge für „Beziehung“ bei Amazon) – das Beziehungsfeld war mir lange Zeit etwas fremdlich. Ich musste erst mal die Regeln lernen und mich dann langsam herantasten. Heute fühle ich mich dort (zumindest meistens) wohl.

„Beziehung ist halt kein Zustand.“

Ich schau innerlich um mich herum und sehe Menschen, die ich kenne. Da ist ein Freund in Amerika, mit dem ich neulich wieder geskypt habe. Ein anderer „ehemaliger“ Freund, wo sich unsere Beziehung verändert hat. Menschen, deren Erwartungen ich nicht erfüllt habe. Menschen, die meine Erwartungen nicht erfüllt haben. Kleine Kinder auf den Armen ihrer Eltern. Menschen, mit denen ich lachen kann. Meine Frau und mein Sohn. Ein Jugendlicher, deren Mutter ihn und seinen Vater einige Tage vor dem ersten Geburtstag verlassen hat. Mein Kollege, der gerade 60 wurde.
Je mehr ich mich konzentriere, desto mehr Menschen tauchen auf. Unfassbar viele. Zu einigen habe ich eine enge Beziehung, zu anderen eine eher distanzierte. Zu einigen hatte ich vor Jahren eine gute Beziehung und heute nicht mehr – zu anderen früher weniger und heute mehr. So ist das Leben. „Beziehung“ ist halt kein Zustand. Es ist eher ein miteinander und füreinander agieren.

„Ich werde für Beziehungen bezahlt.“

Ich werde für Beziehungen bezahlt – das ist einfach super. Keine Nachtarbeit oder so. Beruf(ungs)lich arbeite ich mit jungen Menschen, die es nicht so leicht in der Schule haben und eher ein anderes Lern-Setting benötigen. Zu ihnen sage ich immer: „Ihr seid nicht auf dieser Welt, um gute Noten zu haben oder es allen recht zu machen. Ihr seid geschaffen für Beziehungen.“
Manche schauen mich mit großen Augen an, andere nuscheln in ihren noch nicht vorhandenen Bart, andere stellen Fragen. Die Reaktion ist unterschiedlich. Wobei es mir nicht auf die Reaktion ankommt, sondern darauf, dass sie dies hören – und diese Worte vom Gehirn 30 Zentimeter nach unten links in Herz rutschen.

Bezahlt werden für Beziehungen. Manchmal frage ich mich, ob dies richtig sein kann. Wie echt können diese professionellen, Sozialarbeiter-ischen Arbeitsbeziehungen schon sein. Ich habe da einen sehr hohen Anspruch an mich und meine Kollegen – und fordere manchmal mehr als jemand geben kann. Vielleicht ist dies eine Trennlinie von Beruf und Berufung.
Auf der anderen Seite – warum nicht? Was ist daran falsch? Eigentlich nichts. Hier sind Menschen in meinem Umfeld, denen andere Menschen nicht egal sind, sondern die ein großes Herz haben und sich investieren wollen. Das ist cool. Und so muss ich tatsächlich immer wieder neu lernen, nicht meine Ansprüche zum Maßstab zu machen, sondern das große und weite Herz.

„Beziehungsfähigkeit“

Beziehungen sind in all meinen Jahren immer eine Herausforderung gewesen. Ich musste lernen, mich auf echte Beziehungen einzulassen und zuzugeben, dass ich Beziehungen brauche und mag. Ein „Beziehungsheld“ bin ich trotzdem noch nicht. In einigen habe ich regelrecht versagt. Habe Situationen ausgenutzt. Falsche Zeichen gegeben. Gesten nicht wertgeschätzt. Wünsche nicht respektiert. Nicht zugehört. Keine Zeit genommen. Zurück blieb dann Zerbruch, Wut, Enttäuschung – und vor allem Verletzungen auf allen Seiten. Halt das, was ich eigentlich nicht wollte.

Beziehungsfähigkeit lerne ich in nahezu allen Begegnungen, in denen ich als Person – als Mensch – wertgeschätzt werde; und halt nicht nur auf eine Rolle herunterdefiniert werde. Wahrscheinlich ist dies ein Schlüssel von Beziehungen: Wertschätzung. Auch dies ist ein Lernfeld. Ich bin froh, dass ich und wir Beziehungen lernen dürfen. Schade eigentlich, dass es dies nicht als ein Unterrichtsfach gibt. Es gibt das Unterrichtsfach „Glück“. Das finde ich total schön. Und dieses Fach hat viel mit Beziehungen zu tun.

Wie lebt Jesus Beziehungen?

Ich finde es spannend, wie Jesus Beziehungen lebt. Er reicht seine Hand, biedert sich aber nicht an. Da ist Wertschätzung dem Gegenüber. Er verbringt Zeit mit Menschen. Lacht mit ihnen. Weint mit ihnen. Wahrscheinlich trinkt er auch einen mit ihnen. Er sieht auch hinter der Fassade – deckt diese teilweise auf – und spricht dann mitten ins Herz.
Jesus war nicht beziehungsarm. Er lebte Beziehungen sehr ehrlich. Er hatte keine falschen Beziehungen. Keine oberflächlichen. Und keine Zweckbeziehungen. Sein Beziehungsangebot war und ist immer ehrlich. Es geht ihm halt um die Menschen. Um dich und um mich. Und seine Beziehungsbemühungen sind immer ein Angebot.
Viele haben dieses Angebot (noch) nicht gegriffen. Haben sich nicht eingelassen auf ihn. Da mag es viele Gründe für geben – das Resultat ist aber das Gleiche. Es ist schmerzlich – vor allem für denjenigen, der eine Beziehung möchte. Aber Jesus nimmt seine Hand nie weg.

„Ich bin mir sicher, dass seine Augen Liebe ausstrahlten.“

Ich „mag“ die eine Geschichte in der Bibel, die kurz vor der Kreuzigung Jesu spielt. Petrus, einer seiner Jünger, hatte nicht den Mut, sich zu ihm zu bekennen. Es folgte eine dreifache Verleugnung – ein dreifacher Verrat. Ganz so, wie Jesus es Petrus einige Stunden zuvor angekündigt hat. Und dann dieser Vers im Evangelium nach Lukas:

„Und der Herr wandte sich um und sah Petrus an. Da erinnerte sich Petrus an das Wort des Herrn, das er zu ihm gesprochen hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen! Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“ – Lukas 22, 61

Im Schatten des Verrates kreuzen sich beide Blicke. Der Verratene blickt den Verräter an. Sehr oft habe ich darüber nachgedacht, wie denn der Blick von Jesus gewesen sein mag. Zornig? Frustriert? Enttäuscht? Bemitleidend? Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, dass seine Augen Liebe ausstrahlten. Da war immer noch der Blick für die Beziehung. Und diese Beziehung wurde später wiederhergestellt.
Wow. Da investiert man in Menschen und wird dann verraten. „Nicht gerade eine gute Grundlage für weitere, gemeinsame Schritte.“, mag man zurecht denken. Aber Jesus ist da anders. Da bin ich froh und dankbar. Er ist der größte Beziehungsgeber, den ich kenne. Von ihm möchte ich lernen. Und mich immer wieder aufmachen, Beziehungen echt zu leben. Auch dann, wenn es Rückschläge gibt.

Einen meiner Lieblingsverse aus der Bibel findet ihr im ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher:

„Wir haben euch so sehr geliebt, dass wir euch nicht nur Gottes gute Botschaft brachten, sondern auch unser eigenes Leben mit euch geteilt haben.“ – 1. Thessalonicher 2, 8

Wie kann ich und wie kannst du 1. Thessalonicher 2, 8 leben?