Je reifer ich werde desto mehr werden Einstellungen und Gewohnheiten zurechtgerückt. Und so wird mir seit einigen Jahren eines immer klarer. Etwas was ich schon immer wusste, aber nie so richtig in Worte fassen konnte. Ich, Du, wir – sind geschaffen für Beziehungen. Eben nicht um zu funktionieren. Nicht um es anderen Recht zu machen. Nicht aus Zufall. Nicht geschaffen als Marionetten. Geschaffen für Beziehungen – zu Gott, mir selbst und auch anderen. Eigentlich ganz einfach.
Tiefe Freundschaft
Elias Canetti sagte mal: „Man mag drei- oder viertausend Menschen gekannt haben, man spricht aber immer nur von sechs oder sieben“. Beziehungen. Beziehungen hat jeder. Einige dieser Beziehungen sind flach, zu oft oberflächlich. Andere dann wieder professionell und ergebnisorientiert. Die meisten halt „normal“; ok, aber nichts Außergewöhnliches. Und aus wenigen werden echte und tiefe Freundschaften. So wie bei David und Jonathan in der Bibel. Mich beeindruckt diese Freundschaft. Sie ist geprägt von Liebe, Vertrauen und Mut. Vom Zueinanderhalten und Ratschläge geben.
Ich sitze und denke über eine meiner tiefsten Freundschaften nach. Begonnen ca. 1983, vor 37 Jahren. Was für eine enorme Zeitspanne. Länger als ich verheiratet bin. Länger als ich mit dem Herrn gehe. Einige Leser waren noch längst nicht auf der Welt. Freundschaft – diese Freundschaft – zu beschreiben ist gar nicht so einfach. Aber ich versuche es trotzdem.
Unser Kennenlernen
Als ich jung war wollte ich das, was irgendwie jeder will. Geld, Sex und Rock ’n‘ Roll. Naja – eher geliebt und beachtet werden. Dazugehören. Natürlich verbot die mir angeborene Coolness, dass ich mir – geschweige denn anderen – diese Sehnsüchte eingestehen konnte. Diese Ehrlichkeit dauerte noch etwas. Trotzdem. Meine souveränen 5×5 in der 7. Klasse führten dazu, dass ich Bildungsprozesse etwas länger über mich ergehen lassen durfte. Und dort in der 7. Klasse (Teil 2) nahm die Freundschaft ihren Anfang.
„Es gibt einige Freundschaften, die im Himmel beschlossen und auf Erden vollzogen werden“ – so Matthias Claudius. Gute Freundschaft ist von Gott geschenkt, fällt trotzdem nicht vom Himmel. Warum auch immer: Wir haben Zeit miteinander verbracht (ganz wichtig!!!). Irgendwann hast Du mir dann ein Buch geschenkt. „Das Vaterherz Gottes“. Erzählt hast Du oft – manchmal sogar von Jesus. Du warst nicht mein „Way maker“ aber mein „Door opener“. Ich war Dir so wichtig, dass Du irgendwann angefangen hast für mich zu beten und auch andere ermutigt hast, das zu tun (auch ganz wichtig!!!). Und die Gebete wurden erhört. Nach November ’89 – vier Tage vor dem Mauerfall – nannte man uns in deiner/meiner Gemeinde die „frommen Brüder“ (obwohl wir uns nicht immer fromm verhalten haben – Kneipen, Billard, mal ne Kippe (ich ein paar mehr), Guns ’n Roses – Paradise City und natürlich meine Lust mich an Regeln zu halten.)
Im Herzen verbunden
Bei Freunden kann und darf man so sein, wie man ist. Mal nachdenklich, mal zurückgezogen. Dann mal wieder Zeiten voller Lebendigkeit, Überdrehtheit und voller interessanter Ideen. Unsicherheit und Verletzlichkeit – engen Freunden nicht verborgen, aber auch nicht immer gleich ein Thema worüber man reden muss. Man spricht, hört aber auch zu. Freunde kennen einander die Herzen. Bei mir hat es etwas gedauert, bis ich einen tiefen Einblick zugelassen habe. So richtig habe ich der Sache nicht getraut. Als LastBoyScout wollt ich die Sachen alleine regeln – ging aber nicht. Und wenn ich ehrlich bin – wollt ich ja auch nicht. Ich konnte in all den Jahren dein Herz kennenlernen – wir wussten auf wen wir stehen, wer und was scheiße war, wer ein Auge auf wen geworfen hatte, wir kannten unsere Wünsche und Sehnsüchte, hatten aber auch viele unterschiedliche Meinungen zu Politik und der Welt. Tief. Tiefer. Eine enge Herzensverbindung. Es passte kaum was dazwischen. „Die Liebe deckt viele Fehler zu“. Ich denke oft über diesen Bibelvers nach und entdecke viele Menschen, die mit ihrer Liebe meine Fehler zugedeckt haben. Das macht meine Fehler weder ungeschehen noch vergeben. Aber ein Pflaster tut manchmal auch gut. Von dir bekam ich ein sehr großes. Nicht jeder braucht alles von jedem (mir) wissen.
Freundschaftspflege
Der Mensch denkt – Gott lenkt. So ist das wohl auch bei Freundschaften. Er schenkt diese engen Verbindungen – manchmal auf Zeit (so ’ne Art Lebensabschnittsgefährte), manchmal aber auch sehr sehr lang. Wir haben gemerkt, dass unsere Freundschaft kein Selbstläufer ist. Voltaire sagte mal: „Das erste Gesetz der Freundschaft lautet, dass sie gepflegt werden muss. Das zweite lautet: Sei nachsichtig, wenn das erste verletzt wird“. Freundschaften pflegen – sonst gehen sie verloren. Bei mir gibt es so manche Freundschaften, die auf dem Weg verloren- und kaputtgegangen sind. Da hab ich mich nicht sehr geschickt angestellt. Und im Pflegen von Beziehungen waren wir beide nicht gerade die Helden. Aber wie schon Michael W. Smith sang: “Friends are friends forever If the Lord’s the Lord of them”. Anfang der 90er: Es gab ne kleine Abschiedsparty bei Euch im Keller. Wir lagen uns schmalzig in den Armen. Wir haben es ehrlich gemeint. Voller Liebe. Andere um uns waren mal wieder irritiert und hatten gehofft, dass wir uns nicht doch heiraten. Und dann sind wir unterschiedliche Wege gegangen. Fast hätten wir die weiteren Begegnungen verpasst. Aber auch hier hat Gott immer wieder Gnade geschenkt. Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Wir brauchten keine Anlaufzeit. Wir waren uns nie wirklich fremd – auch wenn manche Ansichten befremdlich wirkten. Und irgendwann haben wir uns entscheiden, einander so ’ne Art Lebensbegleiter zu sein. Wieder mehr Zeit zu investieren. Mehr telefonieren. Sich treffen. Austauschen. Gegenseitig genießen.
Ein göttlicher Moment
Am Anfang hast Du mir den Weg gezeigt und mich begleitet – am Ende wollten Gott und Du, dass ich Dir Dinge neu zeige. Was für ein göttlicher Moment. Nicht von dieser Welt. Erwecklich. Das Vaterherz Gottes. Diesmal nicht in Buchform.
Ja, eigentlich wollten wir noch ein paar Jahre und auch Jahrzehnte durchs Leben gehen – mal enger mal entfernter – aber immer im Herzen verbunden. Dies geht nun nicht mehr. Ich sitze hier auf deiner Beerdigung und wir singen „Be though my vision“. Mein all-time favourite Lied. Weiß gar nicht ob Du das wusstest. Jesus war zum Ende deine erneuerte Vision. Nur Jesus. Von daher sag ich auch nicht „R.i.P.“ sondern „wir sehen uns beim Vater“. Ich wünsche jedem eine Freundschaft wie wir sie hatten. Ich liebe Dich, mein Freund. Danke für 37 Jahre.
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