Sand im Getriebe

Manchmal finde ich leben einfach. Es läuft alles ganz gut: ich stecke in meinen Aufgaben, habe Freude, alles gelingt, ich habe gute Beziehungen und ich genieße jeden neuen Tag. Dann berührt mich die Natur, ich fühle mich ausgeglichen und erlebe gute Dinge. 

Im Moment fällt es mir schwer. Irgendwie alles. Nicht, weil ich keine Lust mehr habe oder verzweifelt bin oder so. So schlimm ist es nicht. Aber ich empfinde im Moment selten Leichtigkeit. In gewisser Weise fühlt es sich an, als wäre Sand im Getriebe. Als würde alles ein bisschen mehr reiben oder festhängen als sonst. Situationen, die sonst kein Problem sind, werfen mich schneller aus der Bahn. Gespräche, die grundsätzlich nicht schlimm sind, treffen mich ins Herz. Alles ist irgendwie lauter und härter. 
Das klingt ganz schön deprimierend. Und so fühlt es sich auch an, wenn ich jeden Tag weinen muss – manchmal wegen Kleinigkeiten und manchmal zum zehnten Mal wegen der gleichen Sache. 

Was dahinter steckt ist Verletzlichkeit. Ich bin im Moment sehr verletzlich. Mein Schutzpanzer hat ausgedient und meine Haut ist dünn. Und ich versuche damit irgendwie umzugehen. Mal gelingt mir das besser und mal schlechter. 

Jesus – der Weinstock

Zu Beginn des Jahres habe ich einen Jahresvers gezogen. Es wurde Johannes 15,4. Ich möchte dich heute mit in die Geschichte nehmen, in der der Vers steht.

1 »Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. 2 Jede Rebe an mir, die nicht Frucht trägt, schneidet er ab; eine Rebe aber, die Frucht trägt, schneidet er zurück; so reinigt er sie, damit sie noch mehr Frucht hervorbringt. 3 Ihr seid schon rein; ihr seid es aufgrund des Wortes, das ich euch verkündet habe. 4 Bleibt in mir, und ich werde in euch bleiben. Eine Rebe kann nicht aus sich selbst heraus Frucht hervorbringen; sie muss am Weinstock bleiben. Genauso wenig könnt ihr Frucht hervorbringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. Wenn jemand in mir bleibt und ich in ihm bleibe, trägt er reiche Frucht; ohne mich könnt ihr nichts tun.

Johannes 15, 1-5

Dieses Gleichnis hat Jesus seinen Jüngern erzählt. 
Ich glaube, dass ich gerade erleben darf, wovon Jesus hier spricht. 

Wachstum durch Beschneidung

Ich glaube, dass ich gerade lerne. Ich habe das Gefühl, dass Gott mich gerade an die Hand nimmt und mich wachsen lassen will. Mal zaghafter und mal nicht so zaghaft. 

Wenn Gliedmaßen schief gewachsen sind, werden sie mitunter gebrochen und anschließend mit Schienen in die richtigen Bahnen gebracht, damit gesundes, gutes Wachstum möglich ist. Wir stutzen Bäume und beschneiden Pflanzen, damit sie mit mehr Kraft und gesünder wachsen können. Wunden werden herausgeschnitten, damit neues Gewebe wachsen kann. 
Das ist ein göttliches Prinzip. Für gesundes Wachstum müssen wir gestutzt werden, so wie es Jesus hier selbst sagt. „Eine Rebe aber, die Frucht trägt, schneidet er zurück; so reinigt er sie, damit sie noch mehr Frucht hervorbringt.“

Ich fühle mich im Moment gebrochen. Jeden Tag stelle ich fest, dass die Dinge, die ich aus eigener Kraft versuche, nicht gelingen. Ich will das schönste Essen vorbereiten, die besten Proben haben, die tollsten Gespräche führen und die coolste Person sein aber am Ende scheitere ich. An meinen Ansprüchen, an den Gegebenheiten. Aber meistens an mir selbst. Mein Stolz und mein Ego sehen sich so sehr danach die Person zu sein, die ich gerne wäre. Aber keine Chance. 

“ …ohne mich könnt ihr nichts tun.“

Ich wäre gerne die Person, die alle kennt, die super extrovertiert ist, die allen hilft, immer ein gutes Wort parat hat, keine Fehler macht und von allen gemocht wird. Und dann sehe ich mich da stehen und stelle fest, dass ich keine Chance habe, das alles zu sein. Ich schaffe es nicht und scheitere immer wieder neu. 
Ganz oft kann ich nicht damit leben, dass es Gott gut mit mir meint und mir seinen Segen schenkt. Gnade finde ich ganz schwer nachzuvollziehen. Ich sehe Gottes Güte oft als Vorschuss, dem ich dann nachkommen will. Und dann versuche ich noch perfekter zu sein und strenge mich noch mehr an und falle noch mehr hin, weil ich dem nicht gerecht werden kann. Am Ende reicht es nie aus. 

Bad news: so ist es eben. Good news: Ich muss das alles gar nicht machen. Mein Fehler ist, dass ich alles versuche, um irgendwie meinem Anspruch zu genügen aber dabei vergesse, dass ich geliebt bin. Dass ich genug bin und Jesus mich frei gemacht hat. Was ich nicht alleine schaffe, kann ich mit ihm schaffen. Vielleicht nicht immer gleich und nicht immer einfach aber Gott ist da. 
So wie ich ohne ihn keine (oder nur wenige und dann super anstrengende) Frucht bringen kann, kann ich mit ihm reiche Frucht bringen. 
Ich bin abhängig von Gott. Ich hänge als Rebe an seinem Weinstock und dafür bin ich unendlich dankbar. Klar, blöd für mein Ego. Aber ich merke gerade immer wieder, dass ich Gott so sehr brauche. Das tut weh. Das demütigt und sorgt dafür, dass ich verletzlich bin, weil es mir immer wieder klar macht, was ich auch nicht kann. Am Ende ist es aber ein Segen. 

“ …so reinigt er sie, damit sie noch mehr Frucht hervorbringt.“ – Hoffnung und Vorfreude

Ich glaube, dass Gott mich gerade zurecht stutzt. Er schneidet Dinge in meinem Leben zurück. Denkmuster, Verhaltensweisen, meinen Stolz. Damit ich mehr Kraft bekomme, gesünder wachsen kann und mehr Frucht bringen kann. Er reinigt mich. Auch mal schmerzhaft aber mit den besten Absichten. 
Wenn ich sage, dass ich Frucht bringen will für Gott und seine Wege gehen und seinen Willen tun will, muss ich ganz nah an ihm dran bleiben. Dann ist er meine erste Kraftquelle und meine Zuflucht. Nicht ich mache Dinge aus meinem Können, Wissen oder weil ich besonders cool bin, sondern weil er mir die Kraft dafür gibt. 

Ich habe Hoffnung, weil ich glaube, dass Gott gute Dinge vor hat. In meinem Leben und in den Leben der Menschen um mich herum. Und daran möchte ich Anteil haben. Dafür muss und darf ich wachsen und dafür werde ich gereinigt. Damit ich Frucht tragen kann. 
Früher habe ich immer gesagt, dass ich mal weise werden will. Ich habe mir vorgestellt, wie ich als Oma in einem Ohrensessel sitze und über alle Dinge bescheid weiß. So ein bisschen wie ein Orakel. Und um dahin zu kommen, wollte ich alles wissen. Alles in mich aufsaugen und so weise werden. Ganz oft habe ich gebetet, dass Gott mir Weisheit schenken möge.
Die Rechnung habe ich aber unterschätzt. Er sagt nämlich: „Weisheit beginnt damit, dass man dem HERRN mit Ehrfurcht begegnet.“ (Ps 111,10)

Vielleicht ist genau das mein Lernfeld und meine neue Wuchsrichtung. Ich freue mich, dass ich die Gewissheit habe, dass Gott da ist. Und ich freue mich darauf, zu sehen, was Gott in und mit meinem Leben vorhat. Und ich vertraue darauf, dass er es gut meint. Auch wenn es hier und da weh tut, werde ich gesünder wachsen können.