Ich weiß nicht, ob du introvertiert und/oder hochsensibel bist. Wenn nicht, ist auch nicht schlimm. Vielleicht helfen dir dann diese Zeilen, deine introvertierten und/oder hochsensiblen Glaubensgeschwister besser zu verstehen.
Vom Tisch fallen
Introvertiert zu sein heißt nicht automatisch, dass man auch hochsensibel ist. Doch oft treten beide „Phänomene“ gemeinsam auf. Wenn du introvertiert bist, oder vielleicht auch hochsensibel, dann helfen dir diese Zeilen vielleicht, dir Versagensängste und Leistungsdruck zu nehmen. Auf jeden Fall ist introvertiert (und/oder hochsensibel noch dazu) zu sein ein Thema, das meiner Meinung nach oft noch ziemlich unter den Tisch fällt, da die betroffenen Personen sich meist nicht trauen, dieses Thema auf den Tisch zu bringen. Und leider fallen betroffene Personen selbst dann auch manchmal vom Tisch.
Hype Kultur
Wir leben in einer Zeit, da wird in fast jeder Werbung und an jeder Straßenecke gefordert, dass man bunter, lauter, verrückter und anders sein soll als die anderen. Daraus ist ein Lebensstil des Individualismus entstanden, der, ähnlich wie beim Schönheitswahn, suggeriert, dass man möglichst auffallend anders sein soll. Und nebenbei soll man am besten noch diejenigen „influencen“, die es nicht schaffen, anders und divers genug für die Gesellschaft zu sein.
Parallel dazu hat sich auch in der Westlichen Christenheit ein Trend breit gemacht, der diese „Hype-Kultur“ aufnimmt und in den Glauben integriert, oder manchmal auch andersherum. Gottesdienst muss laut, pompös und ansprechend sein. Es muss sich abheben, es muss mehr, lauter und bunter sein – eine große Party. Gott zu spüren kann gleichgesetzt werden mit einer Welle an Enthusiasmus und Energie, die bei dem Event den Raum erfüllt.
„Anders als das ‚gute‘ anders“
Das ist ja an sich für bestimmte Zielgruppen nicht schlecht. Vielleicht bist du auch jung und versuchst „anders“ zu sein, bunter und auffallend präsent. Aber du merkst, dass du auf eine Art „anders“ bist, die dich eher mit Angst und Druck erfüllt. Du kannst vielleicht die Lautstärke nicht vertragen, die vielen Menschen, die dich ganz enthusiastisch begrüßen, du möchtest nicht hüpfen, dir ist es unangenehm vor anderen laut zu beten oder dich fremden Menschen vorzustellen. Vielleicht bekommst du manchmal keine gut formulierten Sätze heraus, weil du einfach schlicht überwältigt bist von den ganzen Eindrücken. Und wenn dann die Aufforderung kommt, mit dem Sitz-/Stehnachbarn zu reden, ihn zu umarmen und mit ihm zu beten, möchtest du am liebsten die Flucht ergreifen. Nach solch einem Event oder Gottesdienst, wenn du mit Leuten entweder aus Lust oder Pflichtbewusstsein (man will ja nicht asozial sein) noch etwas essen gehst, drehen sich die Gespräche wahrscheinlich darum, wie super toll und erbauend es doch war und wie viel Kraft die Leute dadurch gesammelt haben. Und du fühlst dich vielleicht, als wenn du durch den Fleischwolf gedreht wurdest und nebenbei noch viel zu schwere Gewichte gestemmt hast. Aber dass du einfach nur noch fertig bist, nicht mehr kannst und du dich am liebsten den restlichen Tag und auch noch ein paar Tage länger von den sagen wir mal zwei Stunden volle Dröhnung ausruhen möchtest, traust du dich nicht zu sagen. Das würde ja heißen, du bist schwach oder mit dir stimmt geistlich etwas nicht. Dann wärst du wieder zu „anders“. Oder besser gesagt wärst du „anders“ als das „gute ‚anders’“
„Für das Reich Gottes nicht zu gebrauchen.“
Vielleicht kennst du solche oder ähnliche Situationen. Vielleicht wurdest du ja sogar schon darauf angesprochen, ob du ein Problem hast. Ob es dir nicht gut gehen würde, ob es dir geistlich nicht gut geht. Vielleicht fragst du dich das ja auch selbst die ganze Zeit. Und ja, vielleicht geht es dir nicht mehr gut, vielleicht hast du mittlerweile ein Problem und geistlich geht es dir auch nicht mehr gut. Du schleppst dich durch die Woche, die voll ist von Eindrücken, zwischenmenschlicher Interaktion, vielleicht sogar noch von evangelistischen Einsätzen oder Veranstaltungen, in denen du alle Kraft zusammennehmen musst, um überhaupt mit einem (fremden) Menschen zu reden.
Und dann kommt der Sonntag und der Gottesdienst gibt dir den letzten Rest – vielleicht ja noch durch die Aufforderung, als geistliche „Challenge“ einer fremden Person in der Woche Jesus vorzustellen. Andere neben dir nicken vielleicht voller Tatendrang und Dankbarkeit für den tollen Tipp. Aber du schämst dich vielleicht innerlich, weil du einfach keine Kraft mehr hast. Du schämst dich, das jemandem zu sagen. Du schämst dich vielleicht sogar, es Jesus zu sagen, da er doch schließlich will, dass du „Salz und Licht“ für die Menschen da draußen bist. Das Resultat ist, dass du dich einsam fühlst. Nutzlos. Falsch. Für das Reich Gottes nicht zu gebrauchen.
Aber diese negativen Gedanken über dich sind falsch.
Und da möchte ich gern einhaken: diese eben genannten negativen Gedanken über dich sind falsch. Ja, vielleicht hast du weniger Kraft als andere schaffst das aktive Lebenspensum der anderen nicht. Aber das ist nicht schlimm. In einer scheinbar überwiegend extrovertierten Welt (das nach außen gerichtete ist natürlich sichtbarer als das nach innen gerichtete, heißt aber nicht, dass es in seiner Existenz überwiegt) ist es schwer, sich Zeit für sich zu nehmen um das zu betrachten, was alles in einem schlummert. Und glaube mir, da schlummert sehr viel.
Wenn du hochsensibel bist, spürst du wahrscheinlich den Schmerz der anderen Leute und die ganzen Lasten, die sie mit sich herumtragen. Nur bist du vielleicht gerade selbst zu erschöpft, mit ihnen darüber zu reden. Du bist vielleicht einfühlsam und zuvorkommend. Es schlummern auf jeden Fall viele Stärken in dir. Du musst nur aufpassen, manche Stärken nicht als Schwächen anzusehen, weil sie in deinem Umfeld nicht so wahrgenommen werden.
Ich möchte dich ermutigen, dich mit deinen Stärken zu beschäftigen. Nicht mit dem Gedanken, was andere für Stärken in dir sehen könnten, sondern was du als Stärke erachtest. Gott hat dich gemacht. Und weil dein Umfeld und/oder die Gemeindekultur vielleicht anders tickt als du, heißt das nicht, dass Jesus dich nicht gebrauchen möchte. Vermutlich anders als du denkst und es manchmal von dir (wenn auch nur unterschwellig) gefordert wird. Ich kenne Leiter und Pastoren, die introvertiert sind. Vielleicht hauen sie keine mitreißenden und stimmungsvolle Predigten vom Tisch, sondern eher tiefgründige und nachdenkliche Predigten. Vielleicht sind sie nicht überall und an jedem Ort gleichzeitig, aber dafür eine starke Stütze in der Seelsorge und mit einem Blick für ungesehene und ungehörte Menschen. Gottes Reich hat für jeden Platz und jeder wird gebraucht, ohne sich verstellen zu müssen. Und trotzdem heißt es auch, dass man herausgefordert wird, sich mit sich selbst zu beschäftigen und an sich zu arbeiten, um den Herausforderungen des (geistlichen) Alltags gewachsen zu sein.
Vielleicht wirklich weniger, aber dafür umso intensiver?
Es kann helfen, deinen Alltag neu zu strukturieren und dir beispielsweise mehr Ruhezeiten zu gönnen. Ruhezeiten aber nicht im Sinne von Ablenkung (Instagram, Filme/Serien, etc.), sondern Ruhezeiten des reflektierenden Gebets und auch der Achtsamkeit sich selbst gegenüber. Die anderen Dinge sind natürlich auch mal dran, doch sind sie nicht immer erholsam. Jesus hat immer die Ruhe gesucht, um mit seinem Vater zu reden und sich stärken zu lassen. Manchmal hat er sich sogar Situationen entzogen. Es ist wichtig, das richtige Maß an Ruhe und Aktivität für sich zu kennen und auch sein Leben und seine Termine danach zu gestalten. Im Vergleich zu anderen „erlebst“ du vielleicht etwas weniger, aber das liegt daran, dass du das, was du erlebst, vermutlich viel intensiver und vielschichtiger erlebst.
Wenn du weißt, woher deine Gefühle kommen und lernst, sie nachzuvollziehen, dann kannst du auch besser mit ihnen umgehen. Und wenn du sie nicht als „schwach“ und „falsch“ betrachtest, sondern als Zeichen, dass du gerade in einer Situation bist, die dich persönlich herausfordert, kannst du dich selbstbewusster aus einer Situation herausnehmen, oder aber auch sicherer in dieser Situation bleiben, ohne dich zu überfordern. Es hilft, Kompromisse einzugehen. Wenn du weißt, dass eine bestimmte Situation dich überfordern wird, gehe einen Kompromiss ein. Vielleicht bleibst du nur so und so lange, vielleicht lässt du dafür etwas anderes sein um Kraft für die Situation zu tanken etc. Es kann sein, dass andere deine Entscheidungen und Empfindungen nicht nachvollziehen können. Aber das ist ok. Letztendlich müssen sie es akzeptieren. Und letztendlich musst auch du lernen, dich zu akzeptieren. Jesus möchte mit dir die Welt gestalten. Er fordert dich heraus, aber überfordert dich nicht. Und er ist immer bei dir. Ich wünsche dir, dass du lernst, dich in der Ruhe von Jesus stärken zu lassen und mit ihm gemeinsam die Herausforderungen des Alltags zu meistern, ohne dir selbst mehr Lasten aufzuerlegen, die du tragen und bewältigen musst. Du musst nicht lauter und bunter sein und dich damit von anderen sichtbar abheben. Es reicht, die Schönheit und Einzigartigkeit zu entdecken, die Gott in dich hineingelegt hat. Und das ist ein viel schöneres „Bunt“ als du es aus eigener Anstrengung je erzeugen könntest.
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