Die letzten Jahre und besonders auch dieses Jahr sind geprägt von Angst. Zuerst die beängstigende Realität einer bis dahin noch nie dagewesenen Pandemie und die dazugehörige Angst um sich selbst und Angehörige, die Angst vor den Folgen des Klimawandels, der schon jetzt immer spürbarer wird, die Sorge um das wirtschaftliche Bestehen – auch im persönlichen Kontext. Und dann kommt auch noch der Februar 2022, der mit dem Krieg gegen die Ukraine zu einer Zeitenwende auf dem europäischen Kontinent führte und die Gefahr eines dritten Weltkriegs und die Angst davor immer stärker machte.
So oder so. Irgendwie ist die ganze Welt betroffen und man selbst ist Teil davon. Man selbst merkt es. Jetzt plötzlich haben viele Menschen Angst, finanziell und möglichst nicht frierend über den Winter zu kommen. Eine Situation, die wir uns in unserer pazifistischen und humanistischen Wohlstands- und Wohlfühlblase nicht mehr ausmalen konnten. Und jetzt wird auch noch auf einem AKW-Gelände herumgeballert. Angst.

Manch einer versucht vielleicht, sich vor allen möglichen Nachrichten zu schützen, will nichts mehr mit den Geschehnissen zu tun haben. Aber trotzdem bleibt die Angst. Und ja, Putin nutzt diese Angst als Waffe. Und das ziemlich effektiv. Denn schon immer war Angst die effektivste Waffe um Menschen und ganze Gesellschaften zu beeinflussen.

Die Angst vor Gott

Und ob das nicht Angst genug wäre, kommt bei dem einen oder anderen auch noch eine andere Angst auf: die Angst vor Gott.
Die Angst vor einem grimmigen Richter, der einen verurteilen wird, wenn man von allen Geschehnissen überwältigt auch mal seinen Kopf einzieht, sich Süßigkeiten reinstopft und sich in einer fröhlichen Serie vergräbt, statt die Welt zu einem besseren Ort zu machen, geschweige denn fleißig für das Reich Gottes zu arbeiten.

Vielleicht wurde es dir ja so beigebracht: „Gott musst du fürchten!“. Vielleicht wurde dir damit als Kind gedroht, dass Gott sieht, was du alles falsch machst. Oder dass Gott traurig ist, wenn du dies und das tust. Sozusagen: Gott als pädagogische Wunderwaffe. Das hat schließlich auch schon immer funktioniert.

Seit es die Menschheit gibt, werden Gottheiten als Drohung gebraucht. Meist von den „geistlichen“ Eliten, die das Volk damit dressiert haben. Bestes Beispiel ist die Kirche des Mittelalters, die Gott als Waffe der Angst missbraucht hat und somit die Bevölkerung hörig gemacht wurde. Ein abscheulicher Missbrauch, der leider heute noch, manchmal vielleicht sogar ganz unbewusst, in den Köpfen und Methoden einiger Menschen steckt – sogar in den heutigen Gemeinden. Wie dankbar bin ich, dass Gott Martin Luther als mittelalterlichen „Propheten“ gebraucht hat, um diesem dunklen Kapitel des Christentums ein Ende zu bereiten (auch wenn es noch viele weitere dunkle Kapitel gab).
Aber eine Erkenntnis ist diejenige, die wieder zurück zu den Wurzeln des christlichen Glaubens führte: dass der Glaubende allein aus Glaube Gerecht gesprochen wird – allein aus Gnade. Der Angstmechanismus greift nicht mehr, wenn man das verstanden hat.

Gottesfurcht

Aber spricht die Bibel nicht selbst davon, dass man Gott fürchten soll? Ja. Es steht sogar, dass die Gottesfurcht der Anfang aller Erkenntnis ist. Uff. Also doch Angst haben? Nein. Schauen wir uns mal an, was Gottesfurcht im Alten Testament bedeutet, denn da hört man so häufig davon.

Es gibt natürlich Momente, in denen Menschen Angst vor Gott hatten, weil er so gewaltige und krasse Sachen gemacht hat, die einem ziemlich zittrige Knie gemacht haben. Aber mit dem Begriff, der für die spezielle Gottesfurcht gebraucht wird, wird eher eine demütige, gegenüber dem Höhergestellten (in dem Fall Gott) gebührende Haltung ausgedrückt.
Es werden Menschen damit in Verbindung gebracht, die ihr Verhalten auf den Willen Gottes ausrichten und sich daran orientieren – eine Haltung, die sich Gott gehorsam und vertrauensvoll unterwirft. Gottesfurcht ist also, kurz gesagt, eine respektvolle Loyalität Gott gegenüber, im Gehorsam gegenüber seinem Willen.

Spannend ist auch, dass der Begriff, der für die Gottesfurcht gebraucht wird, oft im Zusammenhang mit Begriffen für „lieben“ und „anhängen/zuwenden“ gebraucht wird. Betrachtet man die Gottesfurcht im Alten Testament also nur an ihren sprachlichen Aspekten, hat sie ihren ursprünglich emotionalen Charakter der Furcht verloren. Sogar die Angst vor der Strafe Gottes hat nichts mit dem Begriff der „Gottesfurcht“ zu tun, weil die Strafe ja nur denjenigen angedroht wird, die Gott nicht „fürchten“. Es ist sogar andersherum: Gottesfurcht macht frei von Menschenfurcht oder jeder anderen Art von Furcht, weil sie den Menschen, die Gott „fürchten“, Geborgenheit gibt.

Zusätzlich wird die Gottesfurcht beispielsweise in den Sprüchen (Sprüche 1, 7; Sprüche 2, 5) gemeinsam mit „Erkenntnis“ gebraucht. In Sprüche 1, 7 steht, dass die Gottesfurcht der Anfang der Erkenntnis ist. Also die Voraussetzung für das Erkennen Gottes.

„Durch Jesus..“

Und auch im Neuen Testament begegnet uns genau diese Erkenntnis, die dazu führt, das Leben so zu führen, wie Gott es gerne möchte. In Kolosser 2, 3 schreibt Paulus, dass alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis in Jesus verborgen liegen, weil Jesus die Weisheit Gottes ist. Die Gottesfurcht als Anfang der Erkenntnis kann von daher so verstanden werden, dass nur im Vertrauen auf Jesus, seinen Tod und seine Auferstehung und der damit erfolgten Erlösung wahre Weisheit erlangt werden kann. Weisheit im Sinne des Erkennens des Wesens Gottes und der damit verbundenen Freiheit, die uns zuteil wird und so unseren Charakter formt.

Durch Jesus haben wir die beste Möglichkeit bekommen, Gott zu erkennen. Er hat selbst gesagt, dass er und der Vater vom Wesen her eins sind. Wer Jesus sieht, erkennt den Vater. Durch Jesus haben wir einen neuen Zugang zum Vater. Durch Jesus können wir erkennen, was Gottes Wille ist. Gottesfurcht im Sinne von Gehorsam drückt sich also als Gehorsam gegenüber der durch Jesus vollzogenen und geschenkten Gerechtigkeit aus. Dass wir in dieser Gerechtigkeit leben und sie als unsere neue Identität in ihm annehmen. Wenn wir also unser Leben Jesus übergeben haben und in dieser Identität – in dieser „Gottesfurcht“ – leben, ist das der Anfang der Erkenntnis. Und ganz ehrlich: Gott kennenzulernen ist immer wieder spannend. Und es bleibt auf ewig spannend.

„Wenn du ein Leben in Gottesfurcht führen willst, fürchte dich nicht.“

Man sieht also, dass Gottesfurcht eigentlich nichts mit Angst zu tun hat, sondern sogar das Gegenteil bewirkt. Man braucht keine Angst mehr zu haben, wenn man erkennt, wer Gott ist und wer man selbst durch Gottes Gnade ist.
Bei der Gottesfurcht und Gotteserkenntnis geht es darum, das Leben aus der Liebe zu Gott heraus zu gestalten. Und das kann man erst befreit tun, wenn man eben erkannt hat, wie krass Gott ist und wie unendlich mächtig seine Liebe zu dir und mir ist. Dass ich genau aufgrund dieser Liebe eine neue Identität habe. Gerecht vor Gott. Das befreit mich ein Leben zu führen, wie Gott es will. Nicht aus Angst heraus, sondern weil ich weiß, dass das das beste Leben ist, das man Leben kann. Wenn Angst dein Motivator ist, dich mit Gott zu beschäftigen oder ein „gutes“ Leben zu führen, ein „besserer“ Christ zu werden, dann ermutige ich dich: versuche doch mal, dich Gott ohne Angst zu nähern. Im ersten Johannesbrief wird eigentlich auf den Punkt gebracht, was so oft falschläuft:

„Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz; Gottes vollkommene Liebe vertreibt jede Angst. Angst hat man nämlich dann, wenn man mit einer Strafe rechnen muss. Wer sich also noch vor dem Gericht fürchtet, bei dem ist die Liebe noch nicht zum vollen Durchbruch gekommen. Der tiefste Grund für unsere Zuversicht liegt in Gottes Liebe zu uns: Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“
1. Johannes 4, 18-19 (NGÜ)

Wenn du ein Leben in Gottesfurcht führen willst, fürchte dich nicht. Denn Angst ist nicht Gottesfurcht und Angst ist nicht das, was Gott in dein Herz setzt:

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“
2. Timotheus 1, 7 (NGÜ)

Befreit von Angst

Das Neue Testament widerspricht dem Alten Testament nicht. Und ich hoffe, du hast erkannt, dass auch im Alten Testament die Gottesfurcht nicht als die unterdrückende Angst verstanden wird, wie sie leider von manchen Menschen oder Institutionen als Waffe missbraucht wurde und auch noch wird. Diese unterdrückende Angst vor Gott wird von unserem Gegenspieler als Waffe benutzt. Denn Angst lähmt uns. Angst macht uns unattraktiv für andere. Angst lässt uns uns verkriechen.

Wenn wir also ein Leben in Gottesfurcht führen, wie es die Bibel versteht, können wir befreit von Angst leben. In einer Zeit, in der Ängste Überhand nehmen, kannst du als Kind Gottes wissen, dass du vor einer Sache auf keinen Fall Angst haben musst: Gott. Das Gespräch mit Gott ist ein Raum, in dem du keine Angst haben musst, etwas Falsches zu sagen. Ein Raum, in dem du keine Strafe erwarten musst. Ein Raum, in dem du auftanken kannst. Du selbst sein kannst. In dem du deine Ängste abgeben kannst. Du kannst ein Leben in Gottesfurcht führen, ohne Angst vor Gott zu haben. Befreit Hoffnung zu haben und zu geben. Befreit Liebe zu empfangen und weiterzugeben. Eine entwaffnende Liebe und Hoffnung, die trägt. Auch in Zeiten der Angst.